Leserbrief zum Artikel Klassiker: »Für mich ist Noske eine präfaschistische Figur«
vom 12.01.2019:
Weniger ist mehr
Das Interview mit Klaus Gietinger in der Beilage zur Rosa-Luxemburg-Konferenz finde ich sehr gut. Zwei Gründe sind für dieses Urteil Ausschlaggebend. Einerseits wird damit das unglaubliche Agieren der SPD-Spitze in Erinnerung gerufen, als sie mit den Herren Ebert und Noske 1918/1919 das erste Mal an den Schaltstellen dieses Landes stand. Andererseits kann man diesem Gespräch entnehmen, inwieweit die Forschungsergebnisse von Heiner Karuscheit schon in den linken Mainstream eingegangen sind. Den Begriff der »Verpreußung« der SPD hat er geprägt und in diesem Zusammenhang auch herausgearbeitet, warum Bebel ein »Anhänger des preußisch-deutschen Militärstaates« (Gietinger) geworden ist. Daher finde ich es schade, dass in diesem Zusammenhang Karuscheit nicht positiv erwähnt worden ist. Eigentlich sollte auch in der Linken gelten: Ehre, wem Ehre gebührt. Aber vielleicht gibt es dafür ja einen Grund. Karuscheit nennt ja nicht nur die Gründe für das Agieren der SPD-Führung, sondern zeigt auch, dass die Linke mit einer falschen Orientierung in die damalige soziale Bewegung gegangen ist. Diese Orientierung findet sich im Oktoberprogramm des Spartakusbundes. Möglicherweise möchte man nicht über die Fehler unserer Märtyrer sprechen, derer wir dieser Tage gedenken. Auch wenn Nico Popp als Interviewer mit der Frageeinleitung »die Niederschlagung der – im weitesten Sinne – sozialistischen oder, wenn man so will, radikaldemokratischen Massenbewegung von 1918/19« eigentlich einräumt, dass damals die sozialistische Revolution nicht auf der Tagesordnung stand. Eigentlich zeigt der Ablauf der Novemberrevolution, dass auch in der (linken) Politik der Spruch »Weniger ist mehr« seine Berechtigung hat. Wenn man seine weitestgehenden Träume sofort umsetzen will, gibt man nur dem Gegner auf der Rechten die Möglichkeit zu triumphieren.