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Leserbrief zum Artikel 70 Jahre DDR: »Es ging um eine lebendigere sozialistische Demokratie« vom 05.10.2019:

Stagnation auf allen Ebenen

Der Niedergang der DDR hat diverse Momente. Eine Niederlage des (sowjetischen) Sozialismus in der ökonomischen Systemauseinandersetzung würde ich gern in Frage stellen. In China oder Vietnam haben sich wesentlich schwächer aufgestellte Volkswirtschaften nicht nur behauptet, sondern ab den 1980ern dynamisch entwickelt. China spielt heute in der Systemauseinandersetzung die führende Rolle.
Was der DDR 1989 (und vorher) fehlte, war eine ökonomisches Alternativprogramm. Vielleicht auch eine weitere Öffnung der Wirtschaft. Aber unter straffer, kompetenter Fuehrung der SED. Die SED und die KPdSU und ihre Satellitenparteien in Osteuropa verloren die Auseinandersetzung, da sie dogmatisch erstarrt waren und ihren Völkern keine Vorstellungen einer dynamischen sozialistischen Entwicklung mehr aufzeigen konnten. Das System war unattraktiv geworden.
Was China, Vietnam einerseits und Osteuropa andererseits unterschied, waren die massive Unterstützung der Völker einerseits und der Willen, der Mut und die Intelligenz für neue Wege andererseits.
Die SED war feige und auch dumm. Die Fälschung einer Wahl, die 60 bis 70 Prozent Realstimmen bedeutet hatte und eine sehr starke Waffe in den folgenden Auseinandersetzungen hätte sein können, war eine unverzeihliche Dummheit und Ignoranz des eigenen Volkes. Honeckers voluntaristische, weit an den Realitäten vorbeigehende Vorstellungen zerstörten die DDR. Und sein ganzes Politbüro zog mit! Der Aufstand gegen Honecker kam spät und war inkonsequent. Die Reformversprechungen von Krenz waren viel zu inkonsequent und wurden zu zögerlich umgesetzt.
Der Niedergang der KPdSU begann in den 1960ern. Der Dogmatismus überwog wieder. Man lullte sich selbst in weltfremden Siegesvorstellungen ein, versperrte sich gegenüber Wirtschaftsreformen und vernachlässigte die ideologische Arbeit. Dort hätte man mit dem Sieg im Zweiten Weltkrieg stärker wuchern können. Wenn man sich die Getreideproduktion Russlands, Kasachstans, der Ukraine usw. heute anschaut und die der UdSSR damals, wird klar, dass man auf unterem Niveau stagnierte. Fast alle Wirtschaftsprobleme Russlands in der heutigen Zeit haben ihre Wurzeln in der sowjetischen Periode.
Aber der Niedergang des sowjetischen Sozialismus sollte nicht auf die Ökonomie eingeengt werden. Man versperrte sich gegenüber vielen neuen Entwicklungen (den ökologischen Herausforderungen, der beginnenden Digitalisierung, wissenschaftlich-technischen Neuerungen ...) und zimmerte sich eine weltfremde, oberflächliche Ideologie der Machterhaltung zusammen.
Die Ideologie unter Breschnew (und erst recht später unter Gorbatschow) entfernte sich zunehmend und in schnellerem Tempo von ihren revolutionären Wurzeln (nicht nur Marx, Engels, sondern auch Lenin). Man suchte den Ausgleich mit dem anderen Lager.
Die Stagnation erfasste alle Ebenen.
Achim Lippmann
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