Leserbrief zum Artikel Streit zwischen Bild und Professor Drosten
vom 28.05.2020:
Einsicht in die Notwendigkeit
In der Sache »Drosten gegen Bild« wird einmal mehr eine ursächliche Kernproblematik menschlicher Gesellschaft offenbar. Aufgrund eines sehr unterschiedlichen Umgangs mit Bildung und Vernunft besteht eine mitunter überaus gefahrenvolle Nachfrage und Motivation, einfaches Denken und Wahrnehmen zu potenzieren. Bild-haft ausgedrückt: Wäre die Bild mit dem, was und wie sie es macht, nicht finanziell erfolgreich bzw. merkantil tragfähig, dann gäbe es die fatalen Auswirkungen des sogenannten Boulevardjournalismus nicht. Es ist und bleibt dem Anspruch der Leser, Zuhörer und Zuschauer preisgegeben, Wertmaßstäbe in den Medien zu reflektieren und neu zu setzen – oder aber eben nicht. Kurz: (Ver-)Brauchen wir, zumal kritiklos, tagein, tagaus substanzfreie Informationen und Unterhaltung, werden die Macher von seichten Sendeformaten kaum nachlassen in ihrem Bemühen, »jeden Tag ihr Bestes für uns zu geben«. Noch kürzer: Auch Prof. Drosten wird gegen das persistente Virus menschlicher Dummheit auf Dauer kein probates Heil- und Impfmittel finden. Leider, denn insbesondere demokratische Strukturen wie die unseren werden von dem steten Willen zur »Einsicht in das Notwendige« getragen (nach Hegel).
Veröffentlicht in der jungen Welt am 30.05.2020.