Leserbrief zum Artikel NATO: Stärker wappnen gegen China
vom 15.06.2020:
Nordische Tugenden
Was denn nun, Herr Stoltenberg? »Wir sehen nicht, dass ein NATO-Staat unmittelbar bedroht wird.« Einverstanden: Auch große, bunte Ratten pflegen ja allenfalls stark Alkoholisierte dort zu sehen, wo tatsächlich keine sind. Und doch sollen wir uns derartigen Nichtbedrohungen irgendwie »stellen«? Das verstehe ich nicht. Seit fast 20 Jahren leben wir im 21. Jahrhundert. Ist Aufrüstung nicht ein wenig unpassende Nostalgie im Retrostil des 20. Jahrhunderts? Hat nicht Stoltenbergs norwegischer Landsmann Johann Galtung schon vor über zehn Jahren die Prognose gewagt, er gebe der NATO noch mal zehn Jahre? Hat nicht Macron als Präsident des NATO-»Partners« Frankreich den »Hirntod« der NATO konstatiert? Hat nicht Jens Stoltenberg selbst als unverbrauchter »Juso« die NATO-Freiheit Norwegens sogar schon im 20. Jahrhundert gefordert? Ein bisschen mehr Entschlusskraft, Herr Stoltenberg! Zivilcourage und Gewissensorientierung waren stets nordisch-protestantische Tugenden. Machen sie doch Ihre indifferenten Fragmente zueinander passend – zum Beispiel so: »Wir sehen nicht, dass ein NATO-Mitglied unmittelbar bedroht wird. Deswegen stellen wir uns der Situation, indem wir die obsoleten Streitkräfte der NATO-Staaten abrüsten und die NATO auflösen.« Sie heißen weder Kramp-Karrenbauer noch von der Leyen! Und mit den Kampfflugzeugen und Killerdrohnen, mit denen die hinterhältige Ministerin AKK (CDU) heimtückisch ausgerechnet in Zeiten der Pandemiebekämpfung dringend benötigte Mittel verbrennen musste, lassen sich wohl schwerlich Viren jagen. Hingegen bräuchte aktuell der schwer coronagebeutelte NATO-»Partner« USA erhebliche Mittel für Wichtigeres als bloß gerade Kriegsspielzeug, sofern dort unterhalb der präsidialen Ebene vielleicht doch noch ein wenig Regierung und Verwaltung stattfinden.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 20.06.2020.