Leserbrief zum Artikel Anno … 34. Woche
vom 15.08.2020:
Fehlinformation über Trotzki
Die ersten drei Sätze in der historischen Rubrik »Anno ...« über den tödlichen Mordanschlag auf Leo Trotzki am 20. August 1940 entsprechen den Tatsachen. Jedoch hat, wie anschließend behauptet wird, Trotzki zu keinem Zeitpunkt seines Wirkens »die Sowjetunion« angegriffen. Vielmehr unterschied er stets sorgfältig zwischen Regime und System. Seine Kritik bezog sich immer nur auf die Politik Stalins und der herrschenden Staats- und Parteibürokatie, nicht auf die sozialen und ökonomischen Grundlagen des Staates, d. h. insbesondere das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln, Planwirtschaft usw. Weiterhin ist es Fakt, dass die von Trotzki geführte linke Opposition in der KPdSU bzw. in der Komintern bis nach der Machtübernahme des Faschismus eben nicht auf eine frühe Spaltung hinarbeitete, sondern auf die Einsichtsfähigkeit der deutschen KPD-Führung unter Ernst Thälmann setzte, wonach der aufsteigende Nationalsozialismus nur in einer Einheitsfront von SPD und KPD geschlagen werden könne. Es war die Thälmann-Gruppe in der KPD, die die antifaschistische Bewegung mit ihrer Theorie vom Sozialfaschismus der SPD spaltete und der Sozialdemokratie damit leichtes Spiel bot, ihrerseits die Zusammenarbeit mit der KPD zu verweigern. Zur ersten relevanten Spaltung, die Trotzki in die Wege leitete, kam es erst nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler mit der Vorbereitung zur Gründung der Vierten Internationale im Jahre 1938. Für die zahlreichen unrühmlichen Spaltungen dieser Formation nach dem Zweiten Weltkrieg, die bis in unsere Tage andauern, kann der Mitorganisator der russischen Revolutionen von 1905 und 1917 und erste Außenminister der jungen Sowjetunion nicht verantwortlich gemacht werden.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 18.08.2020.