Leserbrief zum Artikel Hintergrund: Vom Saulus zum Paulus
vom 10.10.2020:
Kein typischer Neoliberaler
Es stimmt, dass Giuseppe Conte der Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und faschistischer Lega vorstand, allerdings nicht zwei Jahre lang, sondern ein Jahr (von Juni 2018 bis August 2019), was ja mit der Einfügung, dass sie »vor fast einem Jahr« geplatzt sei, korrigiert wird. Es stimmt auch, dass Conte zuschaute, wie seine Koalitionsparteien »auf Konfrontation mit Brüssel« gingen. Nachdem die Koalition geplatzt war, erteilte Conte der faschistischen Lega jedoch eine Abfuhr und bildete eine neue Regierung mit dem alten Partner M5S (der unter Druck seiner linken Basis und aus Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen, der dann dennoch eintrat, ebenfalls den Bruch mit der Lega vollzog) und mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) eine neue Regierung bildete. In der stützt Conte sich vor allem auf die PD und nahm Korrekturen zum vorangegangen Kurs der Verfolgung von Migranten und der Flüchtlingsabwehr der Lega vor. Das unter den Titel »Vom Saulus zum Paulus« zu stellen halte ich für nicht zutreffend und für eine einseitige Sicht. Conte hat sich nach Ausbruch der Coronakrise auch mehrere Wochen dem Brüsseler EMS-Rettungsschirm widersetzt, sich gegen Einschränkungen der nationalen Souveränitätsrechte gewandt und zur Bekämpfung der sozialökonomischen Folgen der Pandemie »Coronabonds« gefordert. Das hat nicht viel bewirkt, aber immerhin die Krise der EU und ihre deutsche Vorherrschaft verdeutlicht und zu einigen Korrekturen bei dem danach verabschiedeten »Recovery Fund« geführt. Den musste Rom ja nun annehmen, weil es schließlich Geld brauchte. Auch wenn der bürgerliche Premier nun Brüssel lobhudelt, als ein »neoliberaler Musterschüler« erweist er sich damit nicht gerade. Zu sehen ist schließlich auch, dass seine Regierung sich dank einer gewissen linken Orientierung der PD (die bei Regionalwahlen ihre Positionen an der Spitze einer Mitte-links-Koalition stärken konnte), auf die Conte sich stützte, sich gegen die scharfen Angriffe der Lega, die offen den Sturz seiner Regierung mit den Sozialdemokraten betrieb, behauptete und in dieser Zeit nach Wählerumfragen die Zustimmung zur Lega von 38 Prozent im August 2019 zuletzt im September 2020 auf 24 Prozent sank. Das ist eine gewisse Zurückdrängung der Gefahr, dass es zu einer von der Lega geführten faschistischen Regierung kommen könnte, auch wenn abzuwarten ist, ob das anhält. Der kurze Spaltenbeitrag steht eigentlich auch im Widerspruch zu den Beiträgen, die dazu sonst in der jW erschienen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 13.10.2020.