Leserbrief zum Artikel Tiere: Wo er sich wohlfühlt
vom 02.12.2020:
Mit dem Lineal gezogene Uferlinien
Ganz so einfach ist es nicht, dass die Natur noch dort intakt sei, wo sich der Fischotter (Lutra lutra) nach Meinung der Deutschen Wildtierstiftung wohlfühlen soll. Die Stiftung mit Sitz in Hamburg hat mit dieser Begründung den Fischotter zum Tier des Jahres 2021 gekürt. Daran ist an sich nichts falsch, ungenau nur die Begründung. Dass nicht nur die Lebensräume des Fischotters gefährdet sind, steht außer Frage, und das weiß heute jedes Kind, das mit offenen Augen durch die Natur geht. Sein Bestand hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sukzessiv erholt, vor allem im Osten Deutschlands, und das allein ist erfreulich. Die wahrscheinlich größeren Vorkommen im Osten haben vielleicht damit zu tun, dass Ufer und flussbegleitende Strukturen nicht flächendeckend der Landnutzung geopfert wurden, aber das ist eine Vermutung. Die Meliorationsbetriebe in der DDR waren keine Wohltätigkeitsvereine zum Schutz der Natur, sondern hatten den Auftrag, landwirtschaftliche Flächen und Grenzertragsböden so herzurichten, dass primär der industriemäßigen Pflanzenproduktion möglichst wenige Hindernisse im Weg standen.
Biber und ganz besonders der Fischotter als semiaquatische Säugetiere Mitteleuropas haben sich in der Gegenwart in nahezu allen geeigneten Fließgewässern und Seen ausgebreitet. Diese Expansion ist wie die anderer Säugetiere bemerkenswert und hat in diesem Fall klar zu benennende Ursachen. Beide Arten wurden aufgrund der unerbittlichen Jagd über Jahrhunderte fast ausgerottet. Der Biber wegen des Pelzes und seiner Bautätigkeit, die der Auffassung preußischer Gewässerunterhaltung meist diametral entgegengesetzt war, der Wassermarder als Konkurrent von Nutzfischen und ihren Pächtern. Fast zu spät wurden beide Arten geschützt. Dem Biber wurde in der DDR mittels aufwendiger wissenschaftlicher Begleitung und Ausweisung von Schutzgebieten auf die Beine geholfen. Seit Ende des 20./Beginn des 21. Jahrhunderts sind vom Biber alle geeigneten Lebensräume – ausgehend vom Rückzugsraum an mittlerer Elbe, Saale und Havel – wieder besetzt, und inzwischen nehmen Konflikte wegen der Landnutzung (Landwirtschaft, Infrastruktur) zu. Im Gegensatz zum Fischotter hat den Biber die Verschmutzung der Oberflächengewässer im Industriedreieck Halle–Bitterfeld–Wolfen eher weniger belastet: Als strikter Vegetarier brauchte er keine Fische und lebte vom Pflanzenwuchs. Der Fischotter benötigte Jahrzehnte, um sich von der Zehntung seines Bestandes durch Jagd und Abwassereinleitung infolge der Petrochemie zu erholen. Er hat die schlimmste Bestandregression in den für ihn noch geeigneten Fließgewässern in Ostsachsen, in Brandenburg, Mecklenburg und auch in den angrenzenden Rückzugsräumen Polens überstanden, bis die Abschaltung der durch die Petrochemie hervorgerufenen Vergiftungen der Flüsse behoben und die nachfolgende Verbesserung der Wasserqualität auch in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt die Rückkehr der Flussfische ermöglichte. Mit der Rückkehr der Fische stand der Wiederbesiedlung längst aufgegebener Flüsse durch den Fischotter nichts mehr im Wege, und er hatte keinen Grund, ehemals stark belastete Flüsse wie Saale, Weiße Elster, Mulde, Pleiße oder den Unterlauf der Havel zu meiden. Unterstützend halfen hier und da Angelverbände bei der Aufstockung der vormals extrem ausgedünnten Fischbestände.
Irreparabel jedoch sind die Veränderungen in den Flussauen, entlang der Gewässerufer und im Fluss selbst geblieben. Die Sedimente sind mit Phenol belastet, wie mit dem Lineal gezogene Uferlinien säumen baumlos die degradierten Gewässer. Einer dringenden Verbesserung dieser Strukturen steht gegenwärtig der Nutzungsdruck der angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen im Wege – diese Inanspruchnahme stellt die Bestrebungen der Intensivierung in der DDR in den Schatten. Von einer intakten Natur sollte besser schweigen, wer von der vormals und gegenwärtig stattfindenden Umweltzerstörung nicht reden will. Ob sich der Fischotter in dieser devastierten und strukturarmen Landschaft mit Fluss wohlfühlt, kann uns vielleicht Dr. Doolittle sagen, wenn er mal mit ihm reden würde. Vielleicht sagt uns der Wassermarder etwas ganz anderes.
Biber und ganz besonders der Fischotter als semiaquatische Säugetiere Mitteleuropas haben sich in der Gegenwart in nahezu allen geeigneten Fließgewässern und Seen ausgebreitet. Diese Expansion ist wie die anderer Säugetiere bemerkenswert und hat in diesem Fall klar zu benennende Ursachen. Beide Arten wurden aufgrund der unerbittlichen Jagd über Jahrhunderte fast ausgerottet. Der Biber wegen des Pelzes und seiner Bautätigkeit, die der Auffassung preußischer Gewässerunterhaltung meist diametral entgegengesetzt war, der Wassermarder als Konkurrent von Nutzfischen und ihren Pächtern. Fast zu spät wurden beide Arten geschützt. Dem Biber wurde in der DDR mittels aufwendiger wissenschaftlicher Begleitung und Ausweisung von Schutzgebieten auf die Beine geholfen. Seit Ende des 20./Beginn des 21. Jahrhunderts sind vom Biber alle geeigneten Lebensräume – ausgehend vom Rückzugsraum an mittlerer Elbe, Saale und Havel – wieder besetzt, und inzwischen nehmen Konflikte wegen der Landnutzung (Landwirtschaft, Infrastruktur) zu. Im Gegensatz zum Fischotter hat den Biber die Verschmutzung der Oberflächengewässer im Industriedreieck Halle–Bitterfeld–Wolfen eher weniger belastet: Als strikter Vegetarier brauchte er keine Fische und lebte vom Pflanzenwuchs. Der Fischotter benötigte Jahrzehnte, um sich von der Zehntung seines Bestandes durch Jagd und Abwassereinleitung infolge der Petrochemie zu erholen. Er hat die schlimmste Bestandregression in den für ihn noch geeigneten Fließgewässern in Ostsachsen, in Brandenburg, Mecklenburg und auch in den angrenzenden Rückzugsräumen Polens überstanden, bis die Abschaltung der durch die Petrochemie hervorgerufenen Vergiftungen der Flüsse behoben und die nachfolgende Verbesserung der Wasserqualität auch in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt die Rückkehr der Flussfische ermöglichte. Mit der Rückkehr der Fische stand der Wiederbesiedlung längst aufgegebener Flüsse durch den Fischotter nichts mehr im Wege, und er hatte keinen Grund, ehemals stark belastete Flüsse wie Saale, Weiße Elster, Mulde, Pleiße oder den Unterlauf der Havel zu meiden. Unterstützend halfen hier und da Angelverbände bei der Aufstockung der vormals extrem ausgedünnten Fischbestände.
Irreparabel jedoch sind die Veränderungen in den Flussauen, entlang der Gewässerufer und im Fluss selbst geblieben. Die Sedimente sind mit Phenol belastet, wie mit dem Lineal gezogene Uferlinien säumen baumlos die degradierten Gewässer. Einer dringenden Verbesserung dieser Strukturen steht gegenwärtig der Nutzungsdruck der angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen im Wege – diese Inanspruchnahme stellt die Bestrebungen der Intensivierung in der DDR in den Schatten. Von einer intakten Natur sollte besser schweigen, wer von der vormals und gegenwärtig stattfindenden Umweltzerstörung nicht reden will. Ob sich der Fischotter in dieser devastierten und strukturarmen Landschaft mit Fluss wohlfühlt, kann uns vielleicht Dr. Doolittle sagen, wenn er mal mit ihm reden würde. Vielleicht sagt uns der Wassermarder etwas ganz anderes.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 05.12.2020.