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Leserbrief zum Artikel Krim reagiert auf Sanktionen Kiews vom 22.03.2021:

Totes Pferd

Die Berliner Zeitung hat in ihrer Ausgabe am 16. März die Positionen der Botschafter der Ukraine und Russlands zur Krim-Frage gegenübergestellt. Das ist ein nobles Unterfangen, obwohl die von Unkenntnis und Russen-Hass gewürzte Argumentation des ukrainischen Botschafters schwer zu ertragen ist. Akteure bedienen sich gern mit dem Präfix »Real-«. Aber was soll man von einem Botschafter halten, der allen Ernstes meint, Verhandlungen über die Rückgabe der Krim an die Ukraine seien realistisch. Herr Melnyk, so der Name des ukrainischen Botschafters, will nicht in die Tiefen der russischen und ukrainischen Geschichte eindringen. Sonst würde er wissen, dass die Krim über Jahrhunderte zu Russland gehört hat. Ich vermute aber, dass er weiß, dass Nikita Chruschtschow in Krimsektlaune die Halbinsel der Ukraine geschenkt hat, wohlwissend glaubend, dass die Ukraine immerdar zur Sowjetunion gehören wird. Die Geschichte nahm einen anderen Verlauf. Nach der Implosion der Sowjetunion instrumentalisierte der »Westen« die Ukraine, um den nun als Russland firmierenden Staat einzukreisen und das zu tun, was vor nun bald 80 Jahren begonnen wurde und vorläufig gescheitert ist. Dass der ukrainische Botschafter die Befreiung seines Landes vom Faschismus einzig und allein mit dem Schicksal der Krimtataren in Verbindung bringt, disqualifiziert ihn in meinen Augen als seriösen Gesprächsteilnehmer. Er findet sie in anderen Etagen. Dort ist man gleichfalls nicht bereit und in der Lage, über den Widerspruch zwischen dem Recht der Völker auf Selbstbestimmung und dem Recht der Staaten auf territoriale Integrität überhaupt zu diskutieren. Und dies auch noch vor dem Hintergrund eines völkerrechtswidrigen Putschs, der unstrittig 2014 in Kiew vom Westen munitioniert wurde und gewalttätig stattgefunden hat.
Für Herrn Melnyk »eröffnet sich für Deutschland nun eine historische Chance, im Schulterschluss mit der neuen amerikanischen Regierung den Kremlherrn mit neuer transatlantischer Härte zu konfrontieren«. Das Duo Merkel/Maas steht ihm mit dem Mantra zur Seite: »Wir werden niemals die ›Annexion‹ der Krim anerkennen« (siehe jW, 23. 3. 2020). Wir nähern uns einem historischen Gedenktag. Vor bald 80 Jahren hat das faschistische Deutschland die Sowjetunion überfallen. Der Tag wäre eine Gelegenheit, die sich die Regierung nicht entgehen lassen sollte, um zu bekunden, dass die gegenüber der Sowjetunion begangenen Verbrechen niemals vergessen werden und dass das Existenzrecht Russlands Teil unserer Staatsräson mit allen daraus folgenden politischen Handlungen ist. Was nun die begehrte Rückgabe der Krim betrifft, so lautet meine Empfehlung an den ukrainischen Botschafter, aber eben auch an die politischen Akteure des Westens, dass sie sich eine alte Weisheit der Dakota-Indianer zu Herzen nehmen mögen: »Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab.«
Hans Schoenefeldt
Veröffentlicht in der jungen Welt am 23.03.2021.