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Aus: Ausgabe vom 23.02.2008, Seite 16 / Aktion

Wahrheit ist konkret

Der Fall Christel Wegner zeigt, wie aus einer Pressemitteilung eine politische Kampagne wird
Von Dietmar Koschmieder
Radikalenerlaß jetzt auch in der Partei Die Linke?
Radikalenerlaß jetzt auch in der Partei Die Linke?
Daß auch professionelle Medien gelegentlich erstaunlich oberflächlich mit Themen umgehen, ist kein Privileg von Boulevardblättern. Auch die sogenannte Qualitätspresse schafft das immer wieder. So ist es eigentlich verpönt, Pressemitteilungen ungeprüft zu übernehmen. Wenn dann aber statt einer Überprüfung und Bewertung die Inhalte weiter unsachgemäß zugespitzt werden, ist das in der Regel nicht nur mangelnde Professionalität. Vielmehr steckt da oft gewollte politische Einflußnahme dahinter. Daß das wunderbar funktioniert, selbst wenn es eigentlich leicht zu durchschauen ist, zeigt das Beispiel um die Äußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner.

Werdegang einer Meldung

Am Donnerstag, 14. Februar, geht um 12.13 Uhr eine Pressemeldung der Panorama-Redaktion über die Nachrichtenbildschirme aller wichtigen Redaktionen. Die höheren Weihen einer Agenturmeldung erlangte die Mitteilung nicht aufgrund der Entscheidung eines Redaktionsteams, sondern durch Bezahlung. Es handelt sich um eine Pressemitteilung eines Fernsehsenders, der gegen Mitbewerber um Quote kämpfen muß und der deshalb für die Verbreitung seiner Meldung Geld ausgibt. Diese Meldung erscheint also auch aus Marketinggründen.

Über den Inhalt solcher Tickermeldungen entscheidet derjenige, der bezahlt. Er darf auch den reißerischen Aufmacher formulieren: »Panorama: Niedersächsische Landtagsabgeordnete fordert die Wiedereinführung der Stasi«. Dann wird im Text nochmals behauptet, die Landtagsabgeordnete Christel Wegner habe die Wiedereinführung der Stasi »gefordert«. Obwohl Frau Wegner genau dies an keiner von Panorama dokumentierten Stelle gefordert hat. Bei den entscheidenden Passagen der Presseerklärung und später auch im gesendeten Panorama-Beitrag handelt es sich noch erkennbar um Interpretationen (unfreundlicher formuliert: um Unterstellungen) der Panorama-Redaktion. Erst jetzt wird Frau Wegner in der Presseerklärung zitiert: »Ich denke ... wenn man eine andere Gesellschaftsordnung errichtet, daß man da so ein Organ wieder braucht, weil man sich auch davor schützen muß, daß andere Kräfte, reaktionäre Kräfte die Gelegenheit nutzen und so einen Staat von innen aufweichen.« Nicht zitiert wird in der Mitteilung die Frage, die ihr zuvor gestellt wurde. Zudem werden diese Aussagen Wegners unvollständig bzw. aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben. So fehlt in der Presseerklärung der vorangehende einordnende Satz, der erst Stunden später im Fernsehbericht zu hören ist: »Also jeder Staat versucht ja, sich sozusagen vor Angriffen von außen zu schützen.« Dafür sind eine Reihe von Aussagen, die noch in der Presserklärung stehen, später in der Panoramasendung nicht dokumentiert.

Auch mehr als zwei Drittel der »weiteren Zitate von Christel Wegner«, die vom Sender unter panorama.de der Öffentlichkeit parallel zur Presseerklärung zur Verfügung gestellt werden, finden sich nicht im gesendeten Beitrag. Auch bei diesen Zitaten werden die Fragen nicht konkret genannt, ist der Kontext des Gespräches nicht nachvollziehbar. 281 Worte werden hier von Frau Wegner zitiert, in der Sendung kommen davon lediglich 76 vor. Aber nur die gesendeten Worte sind wenigstens einigermaßen einzuordnen. In den ersten und entscheidenden Reaktionen können sich aber Medien und Politiker ausschließlich auf die Pressemitteilung und die willkürlich ausgewählte Zitatensammlung beziehen. Um den Vorgang tatsächlich abschließend bewerten zu können, müßte das komplette Interview mit Frau Wegner zur Verfügung stehen. Das aber will Panorama bis heute nicht herausgeben. Eine entsprechende Nachfrage eines Zuschauers wurde abgewimmelt mit der Begründung, »Sie müssen uns als seriösem politischen Magazin schon glauben«. Auch der Redaktion dieser Zeitung wurde das Interview auf Nachfrage nicht zur Verfügung gestellt. Der Text werde grundsätzlich nicht herausgegeben, auch nicht an den BND, nicht einmal die Fragen, teilte der Redakteur der Sendung, Ben Bolz, der jungen Welt gestern mit.


Diese bezahlte Meldung wird dann wenig später von anderen Agenturen übernommen und »weiterentwickelt«: Um 13.02 Uhr meldet beispielsweise die Nachrichtenagentur ddp unter der Überschrift: »Linke-Abgeordnete fordert die Wiedereinführung der Stasi«: »Die niedersächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei Christel Wegner hat die Wiedereinführung der Staatssicherheitsbehörde aus DDR-Zeiten gefordert. Dem ARD-Politikmagazin Panorama sagte sie, daß man ein Organ wie die Stasi brauche, um sich gegen reaktionäre Kräfte zu schützen«. Was zuvor noch Interpretationshilfe der Panoramaredaktion war, ist nun plötzlich die Originalaussage von Frau Wegner, der in indirekter Rede unterstellt wird, sie habe die »Wiedereinführung der Stasi aus DDR-Zeiten gefordert«. Nur ein weiteres Beispiel von vielen: Die Agentur AFP meldet um 15.21 Uhr unter der Überschrift »Abgeordnete der Linksfraktion will die Stasi zurück«. In der gleichen Meldung wird berichtet, daß Petra Pau und Gregor Gysi sich von den Äußerungen distanzieren. AP informiert um 16.05 Uhr unter der Überschrift »Landtagsabgeordnete für neue Staatssicherheit«, daß die Fraktion der Linken im niedersächsischen Landtag Frau Wegner aufgefordert habe, ihr Mandat niederzulegen. »Die Linke wolle niemanden in ihren Reihen, der sich nicht zur Rechtsstaatlichkeit bekenne, begründete der niedersächsische Linke-Vorsitzende Dieter Dehm die Aufforderung zum Rücktritt.« »Es kann mit uns keinerlei Rechtfertigung für die Verbrechen der Staatssicherheit geben«, berichtet ddp um 17.16 Uhr. Dehm ist Politprofi genug um zu wissen, daß die bis dahin zugänglichen Texte eine solche Vorverurteilung von Christel Wegner nicht rechtfertigen können.

Was dann die bürgerlichen Medien in den darauffolgenden Stunden und Tagen gemacht haben, konnte jeder nachvollziehen. Auch Zeitungen mit linkem Image beteiligten sich am Kesseltreiben gegen Frau Wegner. »Stasi hat doch noch Freunde«, titelt die taz, Frau Wegner fordere die Wiedereinführung der Stasi, »man brauche so eine Art Stasi«, wird sie in indirekter Rede zitiert. Am 20. Februar lobt der Chefredakteur des Neuen Deutschland, Jürgen Reents im Kommentar dann das flotte und eindeutige Reagieren der Partei Die Linke. Frau Wegner war am 18. Februar, vier Tage nach Veröffentlichung der Pressemitteilung von Panorama, einstimmig aus der Fraktion der Linken ausgeschlossen worden, ohne daß einem der Entscheider das Originalinterview vorlag. Das findet ND-Chefredakteur Reents ganz toll: Flotter sei Die Linke gewesen als die CDU »in der Affäre um die antisemitischen Äußerungen ihres Abgeordneten Martin Hohmann (...), und flotter als seinerzeit die Grünen, die (...) dem Bundestag (beinahe) ein früheres NSDAP- und SA-Mitglied als Alterspräsidenten« serviert hätten.

Kein einmaliger Vorgang

Daß sich niemand in der »seriösen« bürgerlichen Presse gefunden hat, den Vorgang nüchtern zu analysieren, ist leider kein einmaliger Vorgang. Erinnert sei an das sensationelle Medienecho auf die persönlichen Worte, die der seit vielen Jahren inhaftierte politische Gefangene Christian Klar zur Einschätzung der politischen Situation an die Rosa-Luxemburg-Konferenz vor einem Jahr gerichtet hat. Zum Medienhype wurden sie erst Tage nach ihrer Veröffentlichung, als sich das ARD-Nachrichtenmagazin Report aus Mainz und danach viele Medien ihrer angenommen hatten. Oder an die Berichterstattung zu den Aktionstagen rund um den G-8-Gipfel in Heiligendamm, nach der Rostock scheinbar in Schutt und Asche versank. Nachvollziehbar auch, daß die Rechten in der Linken so eine Gelegenheit nutzen, um die Pflöcke in der innerparteilichen Diskussion ordentlich nach rechts zu verschieben. Was aber ist von einer Linken zu halten, die sich von der Rechten und den Medien so vor sich hertreiben läßt und weder zu einer präzisen Analyse des Vorgangs in der Lage noch ein Mindestmaß an solidarischem Umgang zu zeigen bereit ist? Deren Vertreter die Parole ausgeben »Klappe halten bis nach der Wahl«, obwohl jeder weiß, daß nach der Wahl vor der Wahl ist?

Bedenklicher ist jedoch: Bisher waren für die Verunglimpfung von Marxisten und Kommunisten vor allem Rechte und der Verfassungsschutz zuständig. Man ging mit dem sogenannten Radikalenerlaß gegen all jene vor, die es wagten, die Eigentumsverhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen und die in der DDR trotz ihrer Mängel und Fehler das andere, das bessere Deutschland sahen. Daß so ein Erlaß in der Partei Die Linke praktiziert werden könnte, betrifft auch diese Zeitung. Denn sie nimmt diese inkriminierten Standpunkte ebenfalls ein, weshalb ihr einige gerne auch das »Mandat« entziehen würden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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