Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 04.04.2009, Seite 16 / Aktion

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Nach den Bundeswehrsoldaten haben nun auch die Kräfte der »Inneren Sicherheit« zu lernen, daß auf die eigene Bevölkerung keine Rücksicht mehr zu nehmen ist
Von Dietmar Koschmieder
Polizeieinsatz in Strasbourg am vergangenen Donnerstag: Vorbild
Polizeieinsatz in Strasbourg am vergangenen Donnerstag: Vorbild für bundesdeutsche Polizeikräfte?
Die ersten Jahrzehnte wurde die Bundeswehr als Institution verkauft, die ausschließlich der Verteidigung der Bundesrepublik gegen Angriffe von äußeren Gegnern zu dienen hatte. Diese Vorgabe macht bekanntlich bis heute das Grundgesetz. Da dieses auch über Bündnisse nicht ausgehebelt werden darf, spricht man bis heute verklärend von der NATO als einem Verteidigungsbündnis. Zwar sind all diese Aussagen schon immer verlogen gewesen, aber immerhin wurden sie weitgehend geglaubt. Seit dem Ende der Systemauseinandersetzung haben Politik und Militär aber ein großes Problem: Wer offen Angriffskriege führt, braucht ein ruhiges Hinterland. Deshalb muß der Bevölkerung eine neue Doktrin verkauft werden. Ein sozialdemokratischer Kriegsminister erklärt deshalb: Deutschland muß künftig am Hindukusch verteidigt werden. Weil aber die Bevölkerung nach wie vor deutlich gegen eine Beteiligung an Angriffskriegen ist, tummelt sich die Bundeswehr mit viel Aufwand auf Spiele-, Pädagogik- und Buch- und sonstigen Messen. Um auch noch dem letzten Deppen spielerisch klarzumachen, daß die Lage nun eine andere sei: Hungerunruhen in Peru beeinflussen die deutschen Sicherheitsinteressen, deutsches Militär muß deshalb weltweit agieren.

Die Kräfte der »Inneren Sicherheit« haben ein ähnliches Problem zu bewältigen. Bisher wurde immer behauptet, Polizeikräfte hätten Bürgerrechte zu sichern. Auf Demos seien sie beispielsweise vor allem dazu da, die Demonstrationsfreiheit abzusichern. Mittlerweile gilt das nur noch für Naziaufmärsche. Die Demonstranten selbst sind Aggres­sions- und Trainingsobjekte von Polizei- und Spezialkräften. Denn die »Innere Sicherheit« muß heute gegen die Bürger schlechthin verteidigt werden: Unruhen im Lande, egal aus welchen Gründen, könnten das Herrschaftsmonopol der Mächtigen gefährden. Die wissen nicht, wie sie die aktuelle Wirtschafts- und Systemkrise in den Griff bekommen, ja sie wissen noch nicht einmal, wie sich diese weiter entwickeln wird. Aber sie erkennen, daß die Bürger ihnen und ihrem politischen Personal immer weniger vertrauen. Wenn selbst eine von der »Friedrich-Naumann-Stifung für die Freiheit« in Auftrag gegebene Umfrage ergibt, daß der Wunsch nach Sozialismus zunimmt, dann wissen die liberalen Herren trotz anderslautender Aussagen sehr wohl, daß dies nicht nur ein Bildungs- und Vermittlungsproblem ist. Vielmehr ist die neue Sicherheitsdoktrin nach innen selbst das Problem. Denn sie müssen der Bevölkerung das Gegenteil von dem erzählen, was sie immer lauthals gepredigt haben: Bisher stellten sie sich als Kämpfer für Freiheit und Demokratie dar, jetzt aber sollen sie erklären, weshalb sie Freiheit und Demokratie demontieren. Zunächst konnten sie dazu die Angst vor Terrorismus schüren und nutzen, dann bot sich der Schwarze Block für die Begründung der Aufrüstung im Innern an. Mittlerweile muß aber jeder Bürger, der sich wirksam wehrt, mit Behinderungen und Übergriffen durch die Polizei rechnen. Egal wie alt er ist, wie er angezogen ist, wo er bei den nächsten Wahlen sein Kreuz macht. Das muß nicht nur gegenüber der Bevölkerung erklärt werden, sondern auch einem großen Teil der dienstverpflichteten Beamten. Denn auch die stellen sich immer mehr die Frage, was es noch mit Demokratie und Freiheit zu tun hat, wenn sie schwachsinnige Auflagen kontrollieren müssen, nach denen Spruchbänder keinesfalls länger als drei Meter sein dürfen. Oder wenn sie der aus Bonn angereisten Punkfrau die Schuhe abnehmen sollen, weil diese als passive Bewaffnung betrachtet werden, die eine polizeiliche Maßnahme verhindern könnten. Oder wenn durchgesetzt werden muß, daß sich kein Demonstrant einem Polizisten näher als 1,50 Meter nähern darf. Oder wenn über ganze Stadtteile Ausgangssperren verhängt werden und dafür zu sorgen ist, daß die Eingesperrten auch die Fenster nicht öffnen dürfen – weil jeder Einwohner der Feind sein könnte.

Daß die Beamten auf diese neue Doktrin praktisch vorbereitet werden, konnte man am Rande der Antikrisendemonstration am vergangenen Samstag in Berlin beobachten. Dort kamen Kampfhunde zum direkten Einsatz. Gegen Schüler, die mit einem eigenen Block für ihre Aktionen im Juni geworben haben. Sie liefen friedlich über einen Gleiskörper der Straßenbahn, vorbei an Polizeihundeführern, die mit ihren Tieren erhöht auf den Passagiersteigen der Haltestelle standen. Die Beamten mußten sich an die Kante des Betonsockels stellen, was dazu führte, daß ihre Hunde, die sie nicht kurz hielten, die vorbeiziehenden Schüler anfielen. Nur jene Hunde, die keinen Maulkorb anhatten, wurden von ihren Hundeführern etwa 1,5 Meter zurück und an kurzer Leine gehalten. Die Beamten wissen, daß ihr Hund jeden anfällt, der den Sicherheitsradius von etwa 1,5 Meter betritt. Selbst die eigenen Kollegen. Die Schüler hatten also keine Chance. Manche Passanten waren geschockt, weil sie die Situation an Bilder erinnerte, auf denen politische Gefangene im Dritten Reich abgeführt wurden. Sichtbar war aber auch, daß die Hundeführer völlig verunsichert waren. Die Zeiten, in denen sie als »Freund und Helfer« verkauft wurden, sind wohl endgültig vorbei, was die Beamten selber auch erst noch verinnerlichen müssen. Wie einem jungen Soldaten, dem man langsam beibringt, natürliche Tötungshemmungen zu überwinden, werden auch Polizeibeamte darauf vorbereitet, gegebenenfalls mit voller Härte zuzuschlagen.


Verschärft wird das Problem dadurch daß die bürgerlichen Medien keine Notiz von solchen Veränderungen nehmen. Daß sie Randalierer aus dem Schwarzen Block nicht verteidigen – geschenkt. Daß sie aber nicht mehr beschreiben, wo und wie bürgerliche Freiheiten erdrosselt werden, hilft den Herrschenden, diesen Prozeß ungehindert fortzusetzen. Ein Medium wie die Tageszeitung junge Welt ist noch viel zu schwach, um eine breite und damit wirksame Gegenöffentlichkeit herzustellen. Damit die junge Welt nicht erst dann so stark ist, wenn ihr dann wegen dem Verfall bürgerlicher Freiheiten ein Verbot droht, sollten Sie diese Zeitung jetzt abonnieren.

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