Aus: Ausgabe vom 24.04.2009, Seite 12 / Feuilleton
Bitterfeld 50
Die Idee, daß Arbeiter temporär Intellektuelle werden
sollten und Intellektuelle Arbeiter; daß Schüler auch in
Fabriken unterrichtet werden; daß Arbeiter anfangen,
Zeitschriften und Bücher zu produzieren, und Literaten
beginnen, über Fabriken nachzudenken – das gilt heute
als Irrung und Wirrung des Maoismus, der DDR, der
Antiautoritären oder des Fischerverlags mit seinem
verschollenen »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«.
Kommt drauf an, auf wen der Freizeitgesellschaftsfetischist gerade
eindrischt, während er die Bedingungen der eigenen
Lohnschreiberei zum Staatsgeheimnis erklärt. Genaue
Beobachtung, Beschreibung und Berücksichtigung der
Produktionsbedingungen werden gerne als gemeingefährlicher
Aufruf zur Langeweile verhandelt. Tendenziell verrückt wird
man aber nur, wenn man gar nichts zu tun hat. Zum Beispiel in der
Industrieruine Bitterfeld, wo heute vor 50 Jahren im damaligen
Chemiekombinat der »Bitterfelder Weg« aus der Taufe
gehoben wurde, um die »Trennung von Kunst und Leben« zu
überwinden. Eine uralte Frage der Avantgarde, die immer wieder
kleine Zirkel umtreibt. Mit der DDR interessierte sich dafür
aber ein Staat. Wie soll man heute die Frage, wie man
»sozialistisch arbeiten , lernen und leben« sollte,
beantworten, wenn sie keiner stellt?
(jW)
(jW)
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