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Schabowski war kein »Dauerfeuer-General«

Plädoyers der Verteidigung beendet. Erneut Freispruch beantragt

Im sogenannten Berliner Politbüro-Prozeß sind am Montag die Plädoyers der Verteidigung abgeschlossen worden. Die Anwälte beantragten für die früheren Politbüro-Mitglieder Günther Kleiber und Günter Schabowski Freisprüche wie zuvor für den Ex-SED- und Staatschef Egon Krenz.

Günter Schabowskis Anwalt Ferdinand von Schirach erinnerte daran, daß sein Mandant mitgeholfen habe, die Ära Honecker zu beenden. Es sei unfair, wenn die Staatsanwaltschaft vergesse, daß Schabowski auf der Pressekonferenz vom 9. November 1989 den Fall der Mauer auslöste. Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz sei als »Rädchen in der bundesdeutschen DDR-Aufräumungsjustiz« zu weit gegangen. Er warf der Anklagevertretung vor, einen »grausamen Stellvertreterprozeß« zu führen und Rache zu üben dafür, daß Staatschef Erich Honecker nicht auf der Anklagebank sitze. Zugunsten Schabowskis führte Schirach dessen Umdenken an. Der frühere Ostberliner SED-Chef unterscheide sich von Betonköpfen wie Ex-DDR- Verteidigungsminister Heinz Keßler und Ex-DDR- Grenztruppenchef Klaus-Dieter Baumgarten, den der Anwalt als »Dauerfeuer-General« titulierte.

Rechtsanwalt Dirk Lammer erklärte, Schabowski sei davon ausgegangen, daß Schußwaffen an der Grenze nicht bewußt in Tötungsabsicht eingesetzt werden durften. Sein Mandant habe einen Schießbefehl nicht gekannt. Er habe im Politbüro auch keine schriftlichen oder mündlichen Meldungen erhalten, aus denen man darauf hätte schließen können. Eine politische und moralische Mitverantwortung für Tote an der Grenze habe sein Mandant übernommen.

Schabowski habe nie bestritten, daß er von Toten an der Grenze gewußt hätte. Allerdings sei dies nur in Einzelfällen aus Meldungen an das Politbüro hervorgegangen oder aus der Westpresse. In Fragen der Grenzsicherung »war das Politbüro entmachtet«, argumentierte der Verteidiger. Der Nationale Verteidigungsrat habe jene Befehle erlassen, die in direkter Kette zu den Tötungen an der Grenze führten.

Lammer hielt der Staatsanwaltschaft in seinem Schlußvortrag vor, sie wolle aus »moralischer Überlegenheit« heraus juristische Vorwürfe konstruieren. Das »Regieren der DDR« werde so zum Anklagevorwurf. Die Staatsanwaltschaft habe bei dem beantragten Strafmaß für Schabowski und die beiden anderen Angeklagten jegliches Maß vermissen lassen. Der Rechtsanwalt warf Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz rechtsfremde und rechtsfeindliche Erwägungen sowie eine Unterordnung des Rechts unter politische Zwecke vor.

Der Ankläger hatte für Schabowski neun Jahre Haft, für den letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz elf Jahre und für den SED-Wirtschaftsexperten Günther Kleiber siebeneinhalb Jahre Haft beantragt. Das Urteil des Berliner Landgerichts wird für Ende August oder Anfang September erwartet.

(ddpADN/AP/AFP/jW)

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