Die Degussa verweigert sich
Wir sollen aktiv am Goldraub der Nazis an den jüdischen Opfern beteiligt gewesen sein? Ach was, wir doch nicht, antwortet die Degussa. Aber hat sie sich denn nicht beim Oberbürgermeister der Ghetto-Stadt Lodz um »Gold- und Silberwaren aus jüdischem Besitz« zur »Verwertung« in der damals größten Scheideanstalt Deutschlands bemüht? Doch, hat sie. Mindestens das Schreiben ihrer Berliner Zweigniederlassung vom 30. Oktober 1940 nach Lodz belegt das. Wie viele Schreiben dieser Art an andere Stellen mag es noch gegeben haben?
Ist das nicht komisch? Wenn die Degussa jetzt schon verneint, willentlich bei der Ausplünderung der jüdischen Opfer mitgemacht zu haben, was sollen dann die Historiker von der Kölner Universität und vom Jüdischen Weltkongreß herausfinden, die das Unternehmen laut einer pompösen Ankündigung an das Firmenarchiv heranlassen will? Und warum sperrt es ausgerechnet jenem Mann die weitere Benutzung der Archivalien, der mit seinen Recherchen dafür gesorgt hat, daß sich die Degussa überhaupt einer öffentlichen Diskussion stellen muß? Die Antworten, die das Unternehmen uns gab (siehe auch das Interview), befriedigen nicht.
Könnte es sein, daß der Konzern, der 1995/96 mit 413 Millionen DM den höchsten Gewinn seiner Geschichte erreichte und der mehr als zwei Drittel seines Umsatzes im Ausland erzielt, Angst vor Forderungen nach Entschädigung hat - so wie sie jetzt Schweizer Banken leisten sollen? Und könnte es sein, daß die Degussa auf Zeit spielt, weil sich die Diskussion um den Goldraub der Nazis und die daran Beteiligten irgendwann wieder beruhigt? Doch, so könnte es sein. Bisher sah die Degussa laut einer Äußerung ihres Generalbevollmächtigten Michael Jansen »keine Basis für individuelle Ansprüche«. Und alles deutet darauf, daß der Konzern diese Basis auch künftig keinesfalls sehen will.
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