Gegründet 1947 Donnerstag, 7. November 2024, Nr. 260
Die junge Welt wird von 2974 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 08.05.2010, Seite 12 / Feuilleton

Geehrte Nazis

Im sächsischen Torgau, wo 1945 Rote Armee und US-Armee aufeinandertrafen, wird am Sonntag eine Gedenkstätte feierlich eröffnet. Die zuständigen Erinnerungspolitiker haben durchgesetzt, daß Naziopfer in diesem Fort Zinna nur zusammen mit Nazis geehrt werden dürfen. Die durch diese Regelung gedemütigte »Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz« will bei der Eröffnung protestieren. »Das ist und bleibt ein Schandmal«, sagt ihr Vorsitzender Ludwig Baumann, der 1942 aus der faschistischen Armee desertieren wollte, dafür zum Tode verurteilt und in Fort Zinna inhaftiert wurde, wo er als einer von über 60000 wegen Verrats, Wehrkraftzersetzung oder Desertion Verurteilten unter schlimmsten Haftbedingungen litt. Etwa 1000 von ihnen wurden in Torgau hingerichtet. Bisher haben die Opfer der Bundesvereinigung hier »nicht einmal einen Platz, wo wir Blumen ablegen können«, sagt Baumann.

Im Fort Zinna wird nun ab Sonntag auch der Insassen zweier sowjetischer Speziallager gedacht, die von 1945 bis 1948 eingerichtet waren. Hier litten »Menschen, die persönlich Verantwortung für Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus trugen«, besagt eine Informationstafel. Baumann ist das zu vage. Er einigte sich im Februar mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten auf eine Ergänzung. Es sollte ausgewiesen werden, daß zu den Gefangenen der beiden Speziallager auch Kriegsrichter und andere Angehörige des NS-Repressionsapparates gehörten, die für die Verfolgung der Militärjustizopfer Verantwortung trugen. Die ergänzte Tafel werde »zum Zeitpunkt der Eröffnung fertiggestellt«, versicherte die Stiftung. Vor kurzem hat ihr Geschäftsführer Siegfried Reiprich nun an Baumann geschrieben, daß »der Zeitpunkt, an dem eine erneuerte Tafel in Produktion gegeben werden sollte«, leider überschritten sei. Der Historiker Werner Bramke, ehemals Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung, hält den »Affront gegen eine Opfergruppe« für »nicht hinnehmbar«. Die SPD-Politikerin Eva-Maria Stange, die dem Stiftungsbeirat als sächsische Wissenschaftsministerin bis 2009 vorstand, hält es dagegen für »richtig, daß die Einweihung jetzt erfolgt«. Die Gestaltung der Gedenkstätte sei »ein vernünftiger Kompromiß«. Baumann: »Wir werden weiter kämpfen.« (ddp/jW)

Mehr aus: Feuilleton