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Ein Leserbrief zum sogenannten Politbüro-Prozeß

Der wirkliche Sinn eines Prozesses

Am 25. August 1997 sollen im Berliner Landgericht die Urteile im sogenannten Politbüro-Prozeß verkündet werden. Das Strafrecht sei auch dazu da, so der Vertreter der Nebenklage Plöger, »... potentiellen Nachahmern der Idee eines Arbeiter-und-Bauern-Staates den Wind aus den Segeln zu nehmen«. Ähnliches äußerte Staatsanwalt Jahntz. Offene Worte über den wirklichen Sinn eines Prozesses, in dessen 155 Tage währendem Verlauf kaum das verhandelt wurde, worum es eigentlich ging: Auf der Anklagebank saß der deutsche sozialistische Versuch, die DDR. Das Perfide der Verhandlungen bestand darin, 40 Jahre eines Gemeinwesens, welches darum rang, sozial, friedliebend und antifaschistisch zu sein, auf die Toten an der Mauer zu reduzieren, und dies, ohne die historischen Umstände zu untersuchen, die zu ihrer Entstehung führten. Wir bedauern jedes Opfer an der früheren Trennlinie zwischen den zwei mächtigsten Militärblöcken. Wir empfinden es als Tragik des vergangenen sozialistischen Versuchs, daß er - nicht zuletzt aus ökonomischer Schwäche und vor allem, um seine Existenz zu sichern - auch zu Mitteln griff, die dem Wesen des Sozialismus nicht entsprachen. Die Mauer wurde allerdings nicht unwesentlich von den Gegnern der DDR mit verschuldet. Die hatten nie verschwiegen, daß sie die Liquidation des deutschen sozialistischen Versuchs wünschten und betrieben. Ihre Rechnungen gingen auf! Und so können sie heute Siegerjustiz üben. Es ist unterm deutschen Kapital geblieben, wie es schon weit vor der Ermordung von Rosa und Karl seinen Anfang genommen hatte: Der Haß der Herrschenden gilt den Sozialisten und Kommunisten. Die politische Reaktion hingegen hatte und hat leichtes Spiel. Es mag Ironie der Geschichte sein, daß Staatsanwalt Jahntz jene Nazi-Juristen, deren Tun er einst zu untersuchen hatte, ausnahmslos frei ausgehen ließ.

Illusionslos und mit Bitterkeit erwarten wir die Urteilsverkündung, die wir weder verhindern noch mildern können. Die Herrschenden dieses neuen, zunehmend vom verhängnisvollen alten Geist geprägten Deutschlands werden allerdings zur Kenntnis nehmen müssen, daß Solidarität nicht zu unterdrücken ist. Und was sie noch begreifen sollten: Nichts, auch kein Gerichtsurteil, kann uns zu Apologeten einer Ordnung machen, in der mehr als vier Millionen Arbeitslose, Hunderttausende Lehrstellen suchende Schulabgänger und über eine Million Menschen ohne Obdach ebenso zum Alltag gehören wie brennende Asylbewerberheime, Synagogen und Kirchen, Nazi-Aufmärsche und unmenschliche Abschiebepraktiken, Auslandseinsätze deutscher Truppen und massenhafter Waffenexport. Die sozialistische Idee kommt aus der sozialen Ungerechtigkeit. Das urteilt keiner weg!

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