»Abstrafende Pädagogik«
Sebastian Haffner, Publizist und Historiker:
»Ich empfinde diese ganzen Prozesse doch als sehr unangenehm. Damals war die DDR ein Staat, und ein Staat hat das Recht, seine Grenzen abzuschließen. Man kann meiner Meinung nach nicht nachträglich das, was passiert ist, unter eine allgemeine Menschenrechtsformel bringen. Das habe ich auch früher schon so gesagt.«
Uwe-Jens Heuer, rechtspolitischer Sprecher der PDS- Bundestagsgruppe, Günther Maleuda, MdB (PDS-Gruppe) und Präsident der DDR-Volkskammer in der Wendezeit, Ludwig Elm, MdB (PDS-Gruppe):
»Die Verurteilung des früheren Staatsoberhauptes der DDR als Totschläger soll der Verdammung der DDR als Unrechtsstaat, als stalinistischer Staat die juristische Weihe geben. Dabei geht es nicht um Geschichtsforschung, sondern um die Meinungsführerschaft im heutigen Deutschland. In Ostdeutschland verstärkt sich die kritische Sicht auf die Art und Weise der deutschen Vereinigung. Viele Ostdeutsche schöpfen aus ihren DDR-Erfahrungen Kraft. Ihnen soll ihr Selbstbewußtsein genommen werden. Es geht um den abschließenden moralisch-ideologischen Sieg im Kalten Krieg. In Gestalt des ehemaligen Staatsoberhauptes der DDR saß sie selbst, saßen die loyalen DDR-Bürger, saßen ihre sozialistischen Überzeugungen, saß der Marxismus auf der Anklagebank.«
Hermann Kant, Schriftsteller:
»Wenn es einem der Opfer hülfe, nähme ich dieses Urteil, das ja auch mich betrifft, hin. Aber ich sehe zur Heuchelei vom unpolitischen Prozeß nur die abstrafende Pädagogik: Aufstand ist strafbar, Unterwerfung lohnt.«
Walter Baier, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs:
»Ein ungeheuerlicher Fall von Rachejustiz, um einen Staat retrospektiv abzuurteilen.«
Kurt Böwe, Schauspieler:
»Interessanterweise sind sie mit den Nazis nicht so furchtbar umgegangen wie mit den DDR-Bürgern.«
(Siehe auch das folgende Interview)
Iwan Melnikow, stellvertretender Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation:
»Der Welt wurde abermals eine politische Racheaktion der deutschen Justiz vorgeführt. Die Verurteilung des Genossen Egon Krenz, der zusammen mit anderen Funktionären der DDR und der SED wegen >Totschlags an der Grenze< angeklagt wurde, setzt die jahrelange Verfolgungsserie nach dem berüchtigten Strickmuster der ideologischen >Blutrache< fort; und diese Realität erleben wir inmitten Europas, in einem Staat, der beinahe als ein Musterland der Demokratie und Toleranz ausgegeben wird. Wir verleihen unserem Protest gegen diese Ausartung des >Siegerrechts< Ausdruck, das in unserem Verständnis an der Schwelle des neuen Jahrtausends keinen Platz haben dürfte.«
(jW)
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