Aus: Ausgabe vom 30.12.2010, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Bitte lächeln
Der Sprachforscher und Missionar Dan Everett (USA) hat mit seiner
Familie sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas
verbracht. In der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Wunderwelt Wissen
führt er aus, warum der knapp 400 Menschen zählende Stamm
»immer gut drauf ist«. Es gelte das Prinzip des
»unmittelbaren Erlebens«. Behauptungen, Theorien,
Spekulationen seien tabu. Nur über das Erfahrbare werde
geredet, alles andere sei »krummköpfig«. Damit
gehe ein besonderes Zeitgefühl einher. Die Pirahã seien
»In-Timers«, wie Chronopsychologen sagen. Für sie
verläuft Zeit weder linear noch zyklisch wie etwa für die
Aymara-Indianer, bei denen Vergangenheit und Zukunft identisch
sind. Zeit ist bei den Pirahã das Jetzt, der
gegenwärtige Moment, der alles Wichtige enthält.
»Das Prinzip der Unmittelbarkeit ist der höchste Wert
ihrer Kultur«, schreibt Everett. »Passend dazu haben
sie sich ihre Sprache geschaffen.« Die Laune sei bei keinem
der 20 isoliert lebenden Amazonasstämme, die er besuchte,
vergleichbar gut gewesen, obwohl der Tod für die von jeglicher
medizinischen Versorgung abgeschnittenen Pirahã-Indianer
allgegenwärtig sei. »Lächelnd gehen sie dem
großen Abgrund entgegen«, schreibt Everett bewundernd
– ganz ohne Tröstungen von einem Leben danach. Bei ihnen
gebe es keine Anzeichen für Depressionen, chronische
Müdigkeit, Panikattacken oder psychische Störungen, wie
sie im Westen massiv auf dem Vormarsch sind.
(ots/jW)
(ots/jW)
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