Aus: Ausgabe vom 05.03.2011, Seite 16 / Aktion
Granatwerfer in Havanna
Von Samuel WanitschAm Rande der Internationalen Buchmesse im Februar 2011 ergibt sich für Delegationsteilnehmer des Berliner Büros Buchmesse Havanna unverhofft die Gelegenheit, sich im dem Messegelände nahegelegenen »Estadio Panamericano« mit der Athletin Yanet Cruz zu treffen. Wir zeigen ihr, wie in der Schweiz über sie und ihr Land geschrieben wird. Die eher zurückhaltende Yanet reagiert verwundert, und ihr Kommentar fiel entsprechend lakonisch aus: »El está loco« (Der spinnt), meint sie. Dann erklärt sie, warum die Granatenattrappe verwendet wird: Mit ihrer Handlichkeit läßt sich besser Schnelligkeit trainieren. Und Kraftlosigkeit in Folge mangelnden Essens? Klar fehle immer mal was – wie wohl andernorts auch–, aber über ungenügende Ernährung könne sie sich nicht beklagen. Und übrigens, am nächsten Tag fände ein Auswahlwettkampf für die ALBA-Spiele statt. Da könne man sich einen Eindruck von ihr und dem ganzen Kader im Wettkampfeinsatz verschaffen.
Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Einen Tag später staunen wir nicht nur über die vielen jungen Talente, auch die Atmosphäre beeindruckt uns. Eine einzige große Sportlerfamilie, in der man sich gegenseitig anfeuert und so nebenbei noch einen nationalen Rekord im Stabhochsprung der Damen beklatschen kann. In verschiedenerlei Hinsicht herausragend sind aber ausgerechnet die Speerwerfenden; nicht zu übersehen der amtierende Vizeweltmeister Guillermo Martinez, ein Kraftbündel der Extraklasse. Und dann eben die angeblich so kraftlose Yanet Cruz, Jugend-WM-Dritte 2005. Die erst 23jährige Kubanerin wirft den Speer – und stellt ihren persönlichen Rekord von 62,90m ein. Sie wirft damit gute zehn Meter weiter als die besten und bestens ernährten Schweizerinnen.
Am Stand des Berliner Büro Buchmesse in Havanna besuchte uns eine deutsche Journalistin. Sie fragte ausgerechnet uns, ob wir glaubten, daß es in Havanna bald losgehen würde wie in Kairo oder Tunis. Die tatsächlichen Fakten interessieren nicht, der reaktionäre Wunsch ist Vater des Gedanken. Und wenn man nichts verdrehen kann, wird auch gerne einfach mal phantasiert. Zum Glück gibt es aber auch eine Zeitung, in der man aufdecken kann, wie sie das tun.
Samuel Wanitsch gehört der Vereinigung Schweiz–Cuba an.
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