Gegründet 1947 Sa. / So., 02. / 3. November 2024, Nr. 256
Die junge Welt wird von 2974 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.07.2011, Seite 3 / Schwerpunkt

»Politisch und kulturell trennt uns einiges«

Zur Vorbereitung der Sommertour des Linke-Vorsitzenden Klaus Ernst wandte sich am 3. Juli dessen Büroleiterin Romana Dietzold per E-Mail an den Linke-Vorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern, Steffen Bockhahn:

(…) Falls du Interesse hast, an einem der Gespräche teilzunehmen (Gut Klepelshagen könnte wirklich interessant sein), dann gib mir doch bitte kurz Bescheid – dann kann ich versuchen, das mit zu organisieren. Ansonsten würde ich mich freuen, wenn wir die Berichte über diese Besuche auch auf der mecklenburg-vorpommerischen Homepage einbinden könnten.

Bockhahn antwortete am selben Tag:

Ich werde nach den neuerlichen Entgleisungen des letzten Dienstags in der Bundestagsfraktion jedoch keine Termine mehr mit Klaus Ernst gemeinsam wahrnehmen. Den MitarbeiterInnen des Landesverbandes stelle ich es frei, ob sie Termine mit ihm organisatorisch unterstützen wollen, da ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, sie dazu aufzufordern. Auf unserer Website haben die KandidatInnen Priorität. Sicher können wir aber schauen, wo wir einen Platz für zugelieferte Berichte finden. (…)

Linke-Chef Ernst schrieb zur Halbzeit seiner Sommertour am 22. Juli an Bockhahn und die Linke-Kreisverbände in Mecklenburg-Vorpommern:

(…) Selbstverständlich obliegt es Deiner Entscheidung als Landesvorsitzendem, diese Tour zu unterstützen oder Unterstützung durch die Beschäftigten zukommen zu lassen. Trotzdem bin ich über die Art und Inhalt deines Schreibens äußerst irritiert. Ich möchte jedoch diese Mail nutzen, allen an der Sommertour beteiligten Genossinnen und Genossen aus den Kreisverbänden auf diesem Wege für ihre Unterstützung zu danken und hoffe auf eine erfolgreiche zweite Tour-Woche.


Bockhahn antwortete Ernst und den Kreisverbänden am 26. Juli:

(…) Dein Unverständnis über meine Reaktion hat seine Ursachen offenbar darin, daß Du meine Motive nicht verstehen kannst. (…) Mir ist wichtig, noch einmal klarzustellen, daß ich nichts unternommen habe um Deine Tour zu verhindern, zu behindern oder zu einem Mißerfolg zu machen. Als Landesvorsitzender bin ich an einem guten Wahlergebnis der Linken in höchstem Maße interessiert. (…) Nachdem Du als Person und in Deiner Funktion als Parteivorsitzender Dich in einer Art und Weise gegenüber GenossInnen geäußert hast, die mich verschreckt und die ich für untragbar halte, stelle ich aber den MitarbeiterInnen des Landesverbandes frei, Dich zu unterstützen, weise sie dazu nicht an. Wenn sie das tun wollen, ist das in Ordnung, wenn nicht, haben sie aber keine Sanktionen zu fürchten.

(…) Politisch und kulturell trennt uns einiges. (…)

Der letzte Tropfen in dem großen Faß war (…) Dein Verhalten in der vorletzten Fraktionssitzung vor der Sommerpause. (…) Es ging um den zweiten Beschluß zur Nahost-Debatte. (…) Es gab nach der Abstimmung Sieger und Besiegte. Keine schöne Situation, aber es war ruhig. Dann setzt Du zu einem Rundumschlag gegen alles an, was Dir nicht paßt, brüllst Teile der Fraktion an, die sich zu dem vorher gefaßten Beschluß bekannt haben. Das war eines Vorsitzenden unwürdig. Was dann passierte, hat mich wirklich schockiert. Du sprichst einem Genossen das Recht ab, sich zu äußern, seine Meinung zu sagen, weil es seiner Lebensleistung nicht entspreche. (…) So ein Umgang ist für mich inakzeptabel. Er offenbart ein Menschenbild, das nicht meines ist. Daher fordere ich von niemandem mehr, Dich als Person zu unterstützen. (...)

Die Linke-Landtagsabgeordnete Marianne Linke, 2002 bis 2006 Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, reagierte darauf per Mail an Bockhahn am 27. Juli:

Deine Mails zu Meinungsverschiedenheiten mit Genossen Klaus Ernst sind für mich weder nachvollziehbar noch akzeptabel. Es ist mir unverständlich, wie und warum Du als Landesvorsitzender eine derartige Stimmungsmache gegen einen unserer Parteivorsitzenden betreibst. (…) Wer berechtigt Dich eigentlich, Mitarbeiter/innen zu sanktionieren? Die Partei ist nicht Dein Eigentum und die Mitarbeiter/innen sind nicht Deine Angestellten, mit denen Du nach Gutsherrenart verfahren könntest und die sich vor Deinen Launen fürchten müssen.

Es ist wohl die Politikfähigkeit und das Demokratieverständnis, die Euch beide trennen. Über Jahrtausende, auch in der Gegenwart, auch in der Linkspartei, läßt sich in politischen Auseinandersetzungen immer wieder ein Phänomen beobachten: Es wird personalisiert, aber nicht um Politik zu erklären, sondern um deren Inhalte unkenntlich zu machen. Eine Methode, die Du und andere hier im Landesverband seit etwa einem Jahrzehnt praktizieren, um Euch unliebsame Genossinnen und Genossen zu diffamieren und beiseite zu drängen.

Gestern hatten wir mit Klaus Ernst eine sehr gute Veranstaltung mit über 60 Genossinnen und Genossen aus Stralsund, NVP und Rügen zum Programm und zur Politik unserer Partei. Klaus ist von einer erfrischenden Klarheit, Witzigkeit und schnörkellosen Direktheit in der politischen Argumentation, wie man sie sich von jedem Funktionär der Linkspartei wünschen würde. Unser Kreisverband kann nur allen empfehlen, Klaus einzuladen.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt