Aus: Ausgabe vom 24.09.2011, Seite 16 / Aktion
Abschütteln
Von Dietmar KoschmiederFür die feinsinnige Art der Argumentation steht schon der Eröffnungssatz des Beitrags. Unter der Überschrift »Stürmer von links – Die Tageszeitung ›junge Welt‹« heißt es: »Für die Redaktion ist die junge Welt eine linke Tageszeitung. Der Verfassungsschutz sieht das anders: Er bescheinigt dem Blatt, es propagiere die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, rechtfertige die DDR und den Klassenkampf.« Wer also erkenntnistheoretisch am Klassenkampfgedanken festhält oder gar für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft eintritt, ist keinesfalls links?
Auch ansonsten nahm man es mit den Details nicht so genau: »Der heutige Ressortleiter Innenpolitik versorgte als Westjournalist die DDR-Führung mit Informationen.« Jörn Boewe aber war nie Westjournalist und hat keine Führung oder Behörde mit Informationen versorgt. Rainer Rupp, der im europäischen Nato-Hauptquartier arbeitete und als Topspion Topas tatsächlich der DDR-Führung wichtige Informationen zukommen ließ (und dafür mehrere Jahre in der BRD einsaß), ist zwar kenntnisreicher Autor der jungen Welt – aber kein leitender Mitarbeiter. Auch die Zusammenfassung am Ende des 3Sat-Beitrags zeigt, daß die aktuellen Medienangriffe gegen diese Zeitung alle nach dem gleichen Muster gestrickt sind: »Doch die DDR hängt der Partei (Die Linke) immer noch wie ein Klotz am Bein. Wenn sie ihn nicht abschüttelt, werden wir in der jungen Welt bald von ihrem Untergang lesen.« Politikberatung à la 3sat: Das linke Stürmerblatt junge Welt, das gar nicht links ist, weil es für Sozialismus eintritt und die DDR für eine gute Sache hielt, ist selbst die DDR und hängt wie ein Klotz am Bein der Linken, die diesen rasch abzuschütteln habe, wenn sie nicht vor dem Klotz untergehen will. Chapeau!
Die Angriffe gehen weiter: Am kommenden Montag findet vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten gegen den Verlag 8. Mai GmbH ein Verfahren wegen »Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten pp.« statt, weil die junge Welt in der Rubrik »Abgeschrieben« einen Aufruf im Rahmen der Proteste gegen den Castortransport zitiert hatte. Solche Dokumentationen sollen damit künftig unmöglich gemacht werden. Übrigens auch in bürgerlichen Medien
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
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vom 24.09.2011