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Aus: Ausgabe vom 25.10.2011, Seite 3 / Schwerpunkt

»Unbequem und unberechenbar«

Aus der Rede von Prof. Peter Grottian, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC-Deutschland, anläßlich der Kundgebung der »Occupy«-Bewegung am Samstag vor dem Reichstag in Berlin:

Wenn der ehemalige Regierende Bürgermeister dieser Stadt, der große Ernst Reuter, noch lebte, wäre er als glaubwürdiger Sozialdemokrat heute unter uns. Er würde vermutlich hier sprechen und ausrufen: Völker der Welt, in Europa, in Asien in Afrika und Australien – erhebt euch gewaltlos gegen das menschenverachtende Finanzmarktsystem. Empört Euch weltweit, habt den Mut zur kontrollierten Wut, ja habt die Courage zum zivilen Ungehorsam – ohne zivilen Ungehorsam wird sich die Politik nicht ändern!

Die Politik lobt geschmeidig unseren Protest, um ihn totzu­loben. Wir sind für die Politik eine unberechenbare Bewegung– und wir müssen noch viel unbequemer und unberechenbarer werden, wenn wir die Politik ernsthaft beeinflussen wollen.


Die selbstermächtigende Zivilgesellschaft fordert erstmals Bankenmacht und Politik heraus, die organisierte Verantwortungslosigkeit der Finanzmarktindustrie zu entmachten. Das menschenverachtende Finanzmarktsystem und die flankierende Politik sind so unglaubwürdig, daß unsere Drohung wächst, unsere Angestellten in Ökonomie und Politik wegen erwiesener Unfähigkeit fristlos zu entlassen. Die Protestierenden nehmen Merkel als Schleiereule ökonomischer Macht wahr, mißtrauen Steinbrück als Gummilöwen und können gern auf den größten europäischen Hampelmann ökonomischer Interessen verzichten: Nicolas Sarkozy. Die Bevölkerung hat den festen Eindruck, daß die Großfeuer der Finanzmarktindustrie von der Politik bewußt mit dem kleinen Eimerchen gelöscht werden sollen. Und nichts oder fast nichts passiert, um Bankenmächte zu zerschlagen oder zu zerlegen und viele Finanzprodukte dorthin zu bringen, wo sie hingehören: in den Giftschrank und nicht auf den Markt.

(…) Das Entscheidende liegt noch vor uns: Die Bürger der Region zu ermuntern, aus Wut und Lust auf den Platz vor den Reichstag zu kommen und den Protest mitzugestalten. Eine Massenpräsenz des pluralen Protests ist die Voraussetzung dafür, daß der Mut zur Wut wächst – wie im Vorbild New York. Dazu gehören eine Nacht und ein Tag des Protests, in welchen Schriftsteller, Kabarettisten, Musiker, Sänger, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Kirchenleute und andere ihre Solidarität mit den Protesten zeigen– Vorschläge für eine Bewältigung der Finanzmarkt- und Politikkrise inklusive. Dazu gehört auch eine Strategiedebatte über unterschiedliche Formen des zivilen Ungehorsams. (…) Auf eine starke »Occupy«-Bewegung in Frankfurt, Berlin und Stuttgart und anderswo!

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