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Aus: Ausgabe vom 29.11.2011, Seite 13 / Feuilleton

Suhrkamps Trotzki

Der Suhrkamp Verlag hat die Publikation einer Biographie über Leo Trotzki mehrfach verschoben. »Trotzky«, das Buch des Oxforder Professors Robert Service war unter dem Beifall rechter Professoren und exradikaler Intellektueller 2009 bei Harvard University in den USA und bei Macmillan in Großbritannien erschienen, 2010 bei Ediciones B für Spanien und Lateinamerika, vor wenigen Wochen bei Perrin auf Französisch. Eine deutsche Ausgabe ist von Suhrkamp schon seit längerem angekündigt. Dagegen protestierten 14 Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologen, die im Juli in einem Brief die Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz aufforderten, von einer Veröffentlichung abzusehen, da das Buch eine »Schmähschrift« sei und grundlegende Standards der Geschichtswissenschaft mißachte.

Zu den Unterzeichnern gehören Helmut Dahmer, Hermann Weber, Oskar Negt, Peter Steinbach, Mario Kessler, Reiner Tossdorf und andere. Sie verweisen auf eine Vielzahl sachlicher Fehler, von falschen Angaben zu biographischen Tatsachen und historischen Ereignissen über falsche Orts- und Personennamen bis hin zu eklatanten Fehleinschätzungen, sowie auf eine befremdlichen Betonung von Trotzkis Herkunft aus einer jüdischen Bauernfamilie. Die Unterzeichner kritisieren die »für die meisten Leser kaum überprüfbare« Quellenlage bei Service. Entgegen der Suhrkamp-Verlagsankündigung setze sich Service eben nicht »unparteiisch und unverfälscht« mit Trotzki und Stalin auseinander, vielmehr sei das Ziel seiner Arbeit »die Diskreditierung Trotzkis«, wobei er vielfach auf Formeln zurückgreife, »die aus der stalinistischen Propaganda bekannt sind«. Sie verweisen auf eine Aussage, die Service laut dem Evening Standard im Oktober 2009 bei der Buchpräsentation in London getätigt haben soll: »Noch ist Leben in dem alten Kerl Trotzki – aber wenn der Eispickel nicht gereicht hat, ihn endgültig zu erledigen, habe ich das nun hoffentlich geschafft.«

In einer Antwort von Thomas Sparr, dem Vertreter von Frau Unseld-Berkéwicz in der Geschäftsführung des Verlages, an Helmut Dahmer, betonte Suhrkamp, man nehme die Vorwürfe sehr ernst und habe noch ein weiteres Gutachten angefordert. Doch zu einer Entscheidung, auf die Veröffentlichung vollständig zu verzichten, konnte sich die Verlagsleitung bis heute nicht durchringen. Die Tatsache, daß es bislang keine ausführliche Stellungnahme des Verlags gab, während gleichzeitig von Buchhandlungen und Versandketten bereits die Auslieferung des Buches für Januar 2012 angekündigt wird, deutet darauf hin, daß Robert Service bald auf deutsch zu lesen sein wird. In der britischen Presse wurde sein Buch als »ein zweiter Mord an Trotzki« bejubelt.

(jW)

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