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Aus: Ausgabe vom 02.06.2012, Seite 16 / Aktion

Endlich regieren

Warum Gesine Lötzsch sich letzte Woche vielleicht die Augen gerieben hat, und wie Dietmar Bartsch vielleicht mitregieren darf
Von Dietmar Koschmieder
Wege zum Kapitalismus (Berliner Zeitung vom 22.12.2010)
Wege zum Kapitalismus (Berliner Zeitung vom 22.12.2010)
Als die Linkspartei-Vorsitzende Gesine Lötsch von der jungen Welt eingeladen wurde, zur Vorbereitung der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2011 einen Diskussionsbeitrag zu schreiben, kam sie dem gerne nach. Die von junge Welt aufgeworfene Fragestellung lautete: »Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus.« Üblicherweise antworten Politiker eher ablenkend. Gesine Lötzsch aber positionierte sich. Der Vorspann zu ihrer Themaseite vom 3. Januar 2011: »Ein für allemal fertige Lösungen gibt es nicht. Radikale Realpolitik steht im offenen Spannungsfeld von Reformen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und der Perspektive einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus.«

Das aber war für manche schon zuviel des Guten. Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, hatte in der Berliner Zeitung nur wenige Tage zuvor eine andere Marschroute vorgegeben: »Bartsch: Linke will endlich regieren«, titelte die Berliner Zeitung am 22. Dezember 2010. Im Beitrag warf er der Linksparteiführung um Lötzsch und Ernst Versäumnisse vor. Die Partei sei programmatisch und organisatorisch nicht so weit, wie sie sein müßte. Die Sozialdemokraten sollten genau überlegen, wie sie mit der Linken umgehen, auch um eine »strategische Chance für einen Machtwechsel 2013« nicht zu gefährden. Diesen Absichten waren die Ausführungen von Gesine Lötzsch wenige Tage später in der jungen Welt nicht dienlich, was die Medienmeute auch klar zu erkennen gab: Sie fiel über den Diskussionsbeitrag und die Autorin her, und seither geht keine Wahl für die Linke mehr verloren, ohne daß Kommentatoren auch diesen Debattenbeitrag dafür verantwortlich machen.

Dabei verhält es sich genau anders herum: Die Linkspartei verliert an Attraktivität, weil sie sich nicht mehr konsequent in parlamentarischen wie außerparlamentarischen Auseinandersetzungen als Kraft zu erkennen gibt, die »radikale Realpolitik« vertritt und »Perspektiven einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus« sucht.


Auf den Dreh kommen mittlerweile selbst Flaggschiffe des bürgerlichen Mainstreams. So darf sogar Maybritt Illner in ihrer Talkshow über den Kommunismus reden. »Ob sich Gesine Lötzsch am Donnerstag abend verwundert die Augen gerieben hat?« kommentierte faz-net. »Die vor kurzem zurückgetretene Bundesvorsitzende der Linken hatte im Januar 2011 in der jungen Welt einen Aufsatz über ›Wege zum Kommunismus‹ geschrieben. Er hatte ihr politisch schwer geschadet. (…) Maybrit Illner fragte ihren Studiogast, den Anthropologen und Bestsellerautor David Graeber, mit der größten Selbstverständlichkeit nach seiner Alternative zum Kapitalismus: ›Kommunismus oder Naturalwirtschaft?‹ Die Reaktion des bayerischen Finanzminister Markus Söder von der CSU? Immerhin war ja vom Kommunismus die Rede gewesen. Er lud den amerikanischen Anarchisten und Aktivisten der ›Occupy Wallstreet‹-Bewegung nach München ein. (…) Was ist eigentlich zwischen dem Januar 2011 und dem Mai 2012 passiert? Ein Anarchist in einer politischen Talk-Show gerät nicht in das Mahlwerk jener strategischen Diskurse, die buchstäblich alles so lange klein schreddern, bis auch der letzte Inhalt zu Staub geworden ist. Er wird von der CSU – oder war es die bayerische Staatsregierung? – nach München eingeladen. Frau Lötzsch bekanntlich nicht«, wundert sich die Frankfurter Allgemeine in ihrer On­linefrühkritik vom 25. Mai 2012.

Nur der rechte Flügel der Linkspartei erkennt die Zeichen der Zeit nicht. Die Haltelinien eines Oskar Lafontaine sind schon zuviel »radikale Real­politik«. Wer nach der Bundestagswahl 2013 mitregieren will, den stören soziale Prinzipien natürlich. Eine pflegeleichte 5,1-Prozent-Partei wird eventuell gebraucht, um eine Regierungsmehrheit bilden zu können. Aber nur, wenn sie von Personal geführt wird, das den tatsächlich regierenden Sozialdemokraten und Grünen nicht in die Quere kommt. Wie das funktioniert, hat der Berliner Landesverband der Linkspartei vorgemacht. Das ist tatsächlich der erfolgversprechendste Weg für Die Linke, um endlich regieren zu können. Banale Erkenntnisse, die in keiner Tageszeitung, keinem Radio- oder TV-Sender Erwähnung finden. Wieso eigentlich nicht?

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