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Aus: Ausgabe vom 09.06.2012, Seite 16 / Aktion

Spargel in Not

Obwohl keiner die junge Welt liest, hat sie einen festen Platz als ­mächtiges Sprachrohr in dunklen Kammern der Seelen von Künstlern und Journalisten
Von Dietmar Koschmieder
junge Welt-Leser Neo Rauch (l.) erhielt am 1. Juni 2012 im Ratha
junge Welt-Leser Neo Rauch (l.) erhielt am 1. Juni 2012 im Rathaus in Aschersleben den Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)
Ganz allgemein neigt das ND, wie Kenner es nennen, eher den Reformern in der Linken zu – anders als das einstige FDJ-Organ Junge Welt, das sich noch heute mit der Mauer anfreunden kann und dessen verkaufte Auflage unter 10000 liegen soll«, weiß Markus Decker in der Berliner Zeitung vom 29.5.12 zu berichten. Woher Kenner Decker diese Zahl hat, bleibt sein Geheimnis. Qualitätsjournalismus dieser Art begegnet dem aufmerksamen Leser immer wieder, wenn Beiträge etwa so beginnen: »Wie ein führendes Mitglied der Partei unserer Zeitung mitgeteilt hat, soll…«. Überprüfbar ist nichts, Namen und Quellen werden diskret verschwiegen, behauptet werden darf also alles. In der Süddeutschen Zeitung (SZ) schrieb Daniel Brössler noch im August 2011, daß die junge Welt eine Auflage von 17000 Exemplaren und 50000 Leserinnen und Leser meldet. Obwohl es Brössler also besser weiß, schreibt er am vergangenen Wochenende in der SZ, junge Welt sei »eine kleine Tageszeitung, die wenige Menschen kennen und noch weniger Menschen lesen«. Diesen hübschen Gedanken variiert er öfters, um nicht langweilig zu erscheinen. So hat er im April 2012 in der gleichen Zeitung behauptet, daß sich für die junge Welt sowieso keiner interessiere, »außer vielleicht der Verfassungsschutz«. Der wiederum hält in seinem aktuellen Jahresbericht die junge Welt »mit über 17000 Exemplaren (für) das bedeutendste Printmedium in der linksextremistischen Szene«. Für linksextremistisch wird dort schon gehalten, wer in der Bibliothek Bücher von Kurt Tucholsky ausleiht. Verdächtig ist bereits, wer lesen kann und es tatsächlich tut. Warum Brössler aber trotzdem den Umstand, daß junge Welt ein Interview mit Dietmar Bartsch veröffentlicht hat, zum Aufmacher seines SZ-Beitrags wählt? Deshalb: »In der Welt der Linken (…) ist sie ein mächtiges Sprachrohr all jener, die es mit der ihrer Meinung nach reinen Lehre halten…« (SZ vom 2./3. Juni 2012). Ihrer oder seiner? Ja was denn nun?

Gnädiger geht die SZ mit rechten kleinen Zeitungen um – falls sie das nötige Kleingeld mitbringen. So stellte sie dem Fachblatt für rechtsgerichtete Adelnadelstreifen Junge Freiheit im Oktober 2010 großformatig Anzeigenraum zur Verfügung. Es hagelte Proteste, worauf sich die Zeitung zu rechtfertigen wußte: »Die Junge Freiheit ist als eine Stimme der demokratischen Rechten in diesem Land ein legitimer Teil des Meinungsspektrums. Wer sie liest, stößt darin zwar oftmals auf einen sehr lauten, unreflektierten Patriotismusbegriff und eine ausgeprägte Fremdenangst. Dennoch wäre es falsch, ja, feige, dem Blatt deshalb das Existenzrecht – und dazu gehört zweifelsohne auch die Werbung – abzusprechen. Sich mit Andersdenkenden journalistisch auseinanderzusetzen, gehört zu den Aufgaben der SZ-Redaktion.«

Im Gegensatz zur unbeachteten jungen Welt steht der Künstler Neo Rauch ganz hoch im Kurs, laut Berliner Zeitung vom 4. Juni 2012 ist er gar »einer der gefragtesten Maler der Gegenwart«. Grad hat er einen Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt bekommen, worüber auch Die Welt am gleichen Tag schreibt. Wobei mit dieser Meldung keineswegs in den Text eingestiegen wird. Zunächst geht es da nämlich um – die ungelesene kleine junge Welt, wie Autor Tim Ackermann berichtet: »In Neo Rauchs Seele gibt es eine dunkle Kammer. Dort möchte man lieber nicht eingeschlossen sein. Vor ein paar Jahren, erzählt der Künstler beim Mittagessen, habe er ja drei Fenster für die Elisabethkirche des Naumburger Doms gestaltet. Und habe kein Geld für seine Arbeit genommen. Der guten Sache wegen. ›Dann kam die Zeitung Junge Welt und hat einfach geschrieben, daß das Ganze nur ein Werbegag für meine Galerie Eigen + Art sei‹, sagt Neo Rauch. Beim Erzählen bekommt sein Gesichtsausdruck etwas Bitteres. Könnten Blicke Schaden anrichten, wäre jetzt der Teller des Künstlers pulverisiert. Doch Rauch schneidet nur etwas vehementer in den Spargel, und Rosa Loy, seine Frau, tippt ihm dabei sanft mit der Hand auf den Arm. Als wollte sie sagen: ›Jetzt reg dich nicht wieder so auf, Neo.‹«

Also irgendwie bekommen sie es noch nicht so richtig hin mit diesem »gar net erst ignoriern« der jungen Welt, um es mit dem Münchner Komikergenie Karl Valentin zu sagen. Dahinter steckt allerdings die weniger lustige Absicht, die Verbreitung unangepaßter Meinungen, Positionen, Informationen in ihren Medien zu blockieren, ihnen jegliche gesellschaftliche Relevanz abzusprechen – damit sie diese erst gar nicht entwickeln können. So wie man das ja auch mit unliebsamen Bewegungen und Parteien gerne macht. Diese Versuche können wir nur mit einer guten Zeitung kontern, mit neuen Ideen die Blockaden zu brechen. Vor allem aber bleibt es dabei, daß wir uns auf eigene Kräfte verlassen. Helfen Sie mit, die junge Welt zu verbreiten, die Print- und Onlineausgabe bekannter zu machen. Der Abschluß eines neuen Abonnements für die junge Welt ist bereits eine Widerstandshandlung.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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Leserbriefe zu diesem Artikel:

  • Katja: jungewelt leser Die jungewelt wird auch in Neuseeland gelesen. Es ist die einzige Zeitung, die mich mehr interessiert als langweilt. Haltet durch!...