Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 17.10.2012, Seite 13 / Feuilleton

Genetik und Eugenik

Von Birgit Gärtner
Bis einschließlich Donnerstag versammeln sich in Hamburg diverse Kräfte aus psychiatrischer Wissenschaft, Forschung und Praxis zum »XX. Weltkongreß der psychiatrischer Genetik«. Allesamt hängen sie einer Lehre an, die besagt, von gesellschaftlichen Normen abweichendes Verhalten sei vererbbar. Gesellschaftliche Einflüsse und subjektive Lebensbedingungen als Ursache für psychische Störungen werden damit in Abrede gestellt. Dieser Wahnsinn hat Methode, findet die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener (BPE) und erinnert an die faschistische Ideologie der Eugenik.

Diskutiert werden auf dem 20. Weltkongreß Themen wie »die Architektur des Gehirns« oder »die genetische Architektur psychischer Störungen«. Der Kongreß wird neben dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Universität Bonn und der Stadt Hamburg von Konzernen wie Hoffmann-La Roche, Johnson und Johnson sowie dem dänischen Pharmakonzern Lundbeck unterstützt. Letzterer besitzt nicht nur als einziges Unternehmen die Lizenz zur Herstellung von Thiopental in den USA, einem Narkotikum, das bei Exekutionen Verwendung findet, sondern ist weltweit einer der führenden Hersteller von Psychopharmaka.

Wissenschaftler wie der kalifornische Psychologe Jay Joseph kritisieren das in der Praxis der psychiatrischen Genetik vorherrschende Primat der Gene, da die Forschung auf der Vorstellung basiere, daß die Identifizierung der Gene dazu diene, psychische Störungen verstehen, behandeln und auch vorbeugen zu können. In seinem Aufsatz »The ›Missing Heritability‹ of Psychiatric Disorders: Elusive Genes or Non-Existent Genes?« (»Die ›fehlende Erblichkeit‹ von psychischen Störungen: Schwer erfaßbare Gene oder nicht-existente Gene?«) gibt er zu bedenken, daß die Wissenschaftler nach 100 Jahren vergeblicher Suche nach Krankheitsgenen »ernsthaft in Betracht ziehen« sollten, daß »ein Gen, zuständig für psychische Störungen, nicht existiert«.

Für BPE-Vorstandsmitglied René Talbot ist der Kongreß »nur alter Wein in neuen Schläuchen: auffälliges Verhalten wird als angeblich krank gebrandmarkt und soll deshalb von Psychiatern mit einer Option auf Zwang oder direkter Gewalt behandelt werden.« Eine solche Ideologie war nach Talbot »die angeblich wissenschaftlich-biologische Grundlage, um 1933 in Deutschland mit einer psychiatrischen Diagnose verleumdete Menschen als angeblich biologisch identifizierbare Gruppe auszusondern, und auszurotten zu versuchen«. Daß dieser Kongreß in der BRD, noch dazu mit staatlicher Unterstützung stattfinden kann, ist für Talbot schlichtweg »ein Skandal«.