Aus: Ausgabe vom 15.12.2012, Seite 13 / Feuilleton
Auf den Docht
Es ist noch kein Märchenerzähler vom Himmel gefallen. Im dänischen Odense wurde neulich die Abschrift eines Märchens gefunden, das Hans Christian Andersen mit 17 oder 18 einer Nachbarsfrau geschenkt hat. Die FAZ enthielt am Freitag eine Übersetzung des dänischen Orginals, das am Vortag in der Zeitung Politiken zum ersten Mal veröffentlicht worden war. »Es brodelte und brauste, als das Feuer unter dem Kessel züngelt«, fing das kurze Dingmärchen an. Hauptfigur war eine Kerze, die ein »Schaf – ein niedliches kleines Schaf« zur Mutter hat und den Schmelztiegel zum Vater. Die Geschichte war sentimental und moralisierend, wie auch die FAZ einräumte. Neben ihrem Bericht über ein Interview, das Peer Steinbrück in Berlin coram publico der Zeit gegeben hat, kam das Moralisieren aber ganz gut. Vor ihrer Beschmutzung und letztlichen Erlösung durch ein Feuerzeug war die Kerze erst einmal so »geformt, daß alle, die sie sahen, glaubten, sie sei das Versprechen einer hellen und strahlenden Zukunft – und die Versprechen, die alle sahen, wollte sie auch wirklich halten und erfüllen«. Damit erschien sie in der Zeitung als genaues Gegenstück zum Kanzlerkandidaten, der die berechtigte Frage »Warum sollen wir Sie wählen?« unter Gelächter so beantwortete: »Weil ich Ihnen nichts verspreche.« (jW)
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