Proteste gegen Freilassung von Papon
Rund 200 Menschen haben am Montag vor dem Justizpalast von Bordeaux wütend und enttäuscht gegen die Freilassung des früheren französischen Haushaltsministers Maurice Papon protestiert, der sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten muß. Die Demonstranten befestigten an den Gittern vor dem Gebäude Fotos von jüdischen Kindern, die im Zweiten Weltkrieg aus Bordeaux in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Papon wird vorgeworfen, als hoher Beamter während der deutschen Besatzungszeit für die Deportation von mehr als 1 500 Juden verantwortlich gewesen zu sein.
Der Angeklagte betrat den Justizpalast am Montag durch einen Hintereingang. Nachdem der Ex-Beamte wegen massiver Proteste aus dem luxeriösen Schloßhotel in ein bescheideneres Hotel in Pessac wechselte, wandte sich der sozialistische Bürgermeister gegen die Unterbringung des Angeklagten in seiner Gemeinde.
Die Staatsanwaltschaft legte unterdessen Revision gegen die Entscheidung des Schwurgerichts vom Freitag ein, den 87jährigen auf freien Fuß zu setzen. Sie begründete ihren Antrag damit, »prinzipiell« ihre Ablehnung der Entscheidung auf Haftverschonung deutlich machen zu wollen. Auswirkungen auf das Verfahren habe der Antrag nicht. Der Vorsitzende Richter Jean-Louis Castagnede hatte seine Entscheidung am Freitag mit der angegriffenen Gesundheit und dem hohen Alter Papons begründet. Die Liga für Menschenrechte warf dem Angeklagten am Montag vor, das Gericht mit der Schwere seiner Herzerkrankung »getäuscht« zu haben.
Rechtsanwalt der Nebenklage Arno Klarsfeld, der sich aus Protest gegen die Entscheidung des Richters aus dem Prozeß zurückgezogen hatte, kehrte am Montag wieder zum Gericht zurück. Der wahrscheinlich letzte große Vichy-Prozeß in Frankreich wurde am Montag mit der Verlesung der 169 Seiten starken Anklageschrift fortgesetzt. Zwar droht dem Angeklagten im Falle eines Schuldspruches eine lebenslange Haftstrafe, doch hat er gute Chancen, niemals ins Gefängnis zu kommen.
Nach der katholischen Kirche und der Polizei haben nun auch die Mediziner die Kollaboration von Ärzten bei der Judenverfolgung mit den deutschen Besatzern verurteilt. Die Ärtztekammer bedauerte den Ausschluß jüdischer Ärzte während der Besatzungszeit. »Einige haben diese Aufgabe unter Zwang erfüllt, andere haben sich aus Überzeugung für diese Aufgabe entschieden«, sagte der Präsident der Ärztekammer Bernard Glorion.
(AFP/jW)
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