Aus: Ausgabe vom 18.02.2013, Seite 13 / Feuilleton
Mikrobrigaden
Von Manfred Hermes
Vier Jugendliche verbringen einen Tag mit ihrem Schwimmlehrer am Pool. Er unterrichtet sie im Kraulen, aber drei der vier sind behindert oder versehrt: Down-Syndrom, Beinamputation, Gehstörung. Der gehbehinderte Junge schreitet etwa ruckartig und stelzig voran, während er die Füße verdreht, auf deren Spitzen das Gewicht des Körpers verlagert ist. Das anzusehen ist zunächst qualvoll, trotzdem wirkt dieses Sehenlassen der Körper nicht exhibitionistisch, man selbst nicht voyeuristisch. Die Bewegungen erscheinen vielmehr als Varianten, innerhalb derer die von einem langen Training geschulten Bewegungsabläufe des Schwimmlehrers nur ein formalisierteres Beispiel sind.
Neben dieser Thematisierung des Körpers und seiner robusten Sensualität wirkt der narrative Teil sehr viel weniger eindringlich. Man wird von Momenten oder Teilen angesprochen, nicht aber vom Ganzen des Films, und das ist vielleicht schon der Effekt einer postcinematischen Kondition des Betrachtens. Die vielen Totalen erlauben es darüber hinaus, sich auch das architektonische Umfeld näher anzusehen. Man kann in den ungenau gegossenen, porösen, verwitterten, hundertmal hellblau überstrichenen Betonformen Zeichen des Mangels sehen, oder aber auch die Bereitschaft zu baukünstlerischer Improvisation. Über diesen Aspekt gibt »Microbrigades – Variations of a Story« dann weitere Auskunft.
Nach der Kubanischen Revolution 1959 war der Wohnungsbau eine vorrangige Aufgabe – wie zehn Jahre später immer noch. 1971 wurde das Konzept der Kleinstbrigaden eingeführt. Aber das Versprechen, unbezahlte Arbeit heute für Immobilienbesitz morgen einzusetzen, konnte oftmals nicht gehalten werden, und so verlor das System Anfang der 1980er Jahren den Rückhalt. Trotzdem entstanden große Siedlungen in ganz Kuba. Dieses Rechercheprojekt über diesen Sonderfall sozialistischer Planung argumentiert dabei auch ästhetisch. Obwohl die Mikrobrigaden ein »Deskilling« (also den Verzicht auf ausgebildete Fähigkeiten)der Bautechnik voraussetzten, entstand auf der Basis einer primitiven Monotonie im Großen ein Variantenreichtum gestalterischer Formen im Kleinen.
Neben dieser Thematisierung des Körpers und seiner robusten Sensualität wirkt der narrative Teil sehr viel weniger eindringlich. Man wird von Momenten oder Teilen angesprochen, nicht aber vom Ganzen des Films, und das ist vielleicht schon der Effekt einer postcinematischen Kondition des Betrachtens. Die vielen Totalen erlauben es darüber hinaus, sich auch das architektonische Umfeld näher anzusehen. Man kann in den ungenau gegossenen, porösen, verwitterten, hundertmal hellblau überstrichenen Betonformen Zeichen des Mangels sehen, oder aber auch die Bereitschaft zu baukünstlerischer Improvisation. Über diesen Aspekt gibt »Microbrigades – Variations of a Story« dann weitere Auskunft.
Nach der Kubanischen Revolution 1959 war der Wohnungsbau eine vorrangige Aufgabe – wie zehn Jahre später immer noch. 1971 wurde das Konzept der Kleinstbrigaden eingeführt. Aber das Versprechen, unbezahlte Arbeit heute für Immobilienbesitz morgen einzusetzen, konnte oftmals nicht gehalten werden, und so verlor das System Anfang der 1980er Jahren den Rückhalt. Trotzdem entstanden große Siedlungen in ganz Kuba. Dieses Rechercheprojekt über diesen Sonderfall sozialistischer Planung argumentiert dabei auch ästhetisch. Obwohl die Mikrobrigaden ein »Deskilling« (also den Verzicht auf ausgebildete Fähigkeiten)der Bautechnik voraussetzten, entstand auf der Basis einer primitiven Monotonie im Großen ein Variantenreichtum gestalterischer Formen im Kleinen.
»Microbrigades – Variations of a Story«, Regie: Florian Zeyfang, Alex Schmoeger, Lisa Schmidt-Colinet, Deutschland 2013, 31 min.
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