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Aus: Ausgabe vom 02.08.2013, Seite 3 / Schwerpunkt

»Verharmlosende Unverschämtheit«

Der 2011 ohne Wissen der Stadträte formulierte Text für die Bodengedenkplatte vor dem früheren KZ-Außenlager »Colosseum« in Regensburg ist ein Meisterwerk der Geschichtsklitterung. Wohl darum auch ist die Platte mit nachstehendem Text ohne vorherige Information der Öffentlichkeit in Stadtamhof verlegt worden: »Im Rückgebäude des ehemaligen Gasthauses Colosseum waren in den letzten Wochen der nationalsozialistischen Diktatur vom 19. März bis zum 23. April 1945 Häftlinge des Konzentrationslagers Flossenbürg untergebracht. Vor dem Haus mußten die Häftlinge, durch Unterernährung und Demütigung geschwächt, zum Appell antreten.« Warum der Appell? Was hatten die (wie viele) Häftlinge zu tun? Der Text gibt keine Auskunft. Auch nicht darüber, was aus den Gefangenen wurde. Als »verharmlosende Unverschämtheit und Schlag ins Gesicht der Häftlinge« kommentiert der Internetblog »Regensburg digital« empört den Text der Tafel. Hier gehe es um »Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht um die Dokumentation eines Freizeitarrestes«. Die Darstellung »Rückgebäude« stimme nicht. Gefragt wird: »Wer waren die Häftlinge, und warum mußten sie antreten?« Das Ganze sei, so weitere Reaktionen, »ungeheuerlich verharmlosend«.

Ein Text, so insgesamt die Meinung der kritischen Öffentlichkeit, der angesichts der Verbrechen des faschistischen Terrorregimes der historischen Wahrheit nicht gerecht wird. Der DGB war empört und forderte erneut eine »würdige Form des Gedenkens am Gebäude des Verbrechens«.

Die von den Reaktionen offensichtlich überraschte Stadtverwaltung ließ durch ihren Kulturreferenten erklären, die Tafel sei bereits am 23. April (wohl bei Dunkelheit und Ausgangssperre für die Bevölkerung?) vor dem Colosseum verlegt worden. Just an diesem Tag aber hatte von hier aus, wie seit Jahren, der »Gedenkweg« mit 150 Teilnehmern seinen Anfang genommen. Und keiner hat die Denkplatte bemerkt, sonst hätte die Arbeitsgemeinschaft ehemaliges Konzentrationslager Flossenbürg nicht erneut an »unser mehr als zehn Jahre dauerndes Ringen um das Colosseum-Denkmal« erinnern müssen – bei gleichzeitigem Bedauern des fortwährenden »unwürdigen Schauspiels der getrennten Feiern«.

(hd)

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