Aus: Ausgabe vom 19.09.2013, Seite 13 / Feuilleton
Schalldämpfer (55)
Von Wiglaf Droste
Ich fand Jan und Ralle im Garten der Klinik. Sie saßen unter großen, alten Bäumen und rauchten. Draußen, jenseits der Umzäunung, in der Freiheit, defilierten Irrsinnige vorbei, die mit sich selbst sprachen, ihre Kinder oder Ehegatten bebrüllten oder sonstwie gar waren. Dagegen mutete der Irrenhausgarten geradezu paradiesisch an, und genau deshalb mußten wir von hier verschwinden. Der Mensch ist nicht für den Himmel gemacht, sondern für die Hölle, die ihm entspricht.
Obwohl er im kühlen Schatten saß, perlte Ralle der Schweiß am Kopfe. Auf seinen Resthaarstoppeln hatten sich kleine Tröpfchen gebildet, er sah aus wie ein Christbaum mit Fluppe. »Mann«, stöhnte er, »langsam is’ auch ma’ gut. Die machen einen hier ja zum Horst.«
»Es heißt ›Horst D’Oeuvre‹«, schoß ich zurück, einen der übelsten Kalauer von Fritz zitierend, und wie erhofft besserte sich Ralles Laune. »Der kostet ’nen Zehner«, verlangte er, ich zückte den Schein mit Freuden. Ralle steckte ihn ein und wischte sich die Rübe trocken. »Die haben mich in eine Therapiestunde gesteckt«, ächzte er, »ihr könnt euch das nicht vorstellen.«
»Nicht, solange du nichts erzählst«, ermunterte ich ihn, während der schon dunkelgrau gerauchte Jan Scheibenwischerbewegungen machte. »Da kommt dieses Reck von Frau rein«, begann Ralle, »geht an eine Tafel und malt Gesichter hin, vier Stück, teilweise lächelnd, teilweise mit Kummermund, und schreibt unter die Krakeleien dann ›Freude‹, ›Trauer‹, ›Wut‹ und noch irgendwas, und dann fragt sie mich: ›Wo würden Sie sich da einordnen heute morgen?‹ Mir wäre fast ein Ei aus der Hose gefallen, aber ich wollte nicht schofelig sein und habe gesagt: ›Bei Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.‹ So sah das Zeug schließlich aus.«
»Ja und?« fragte ich. »Die blöde Torte« – Ralle war sichtlich angegriffen – »machte mich direkt an: ›Sie sind negativ. Was haben Sie für eine Einstellung zu Ihrer Heilung?‹ Und dann habe ich ihr gesagt, daß ich niemals so unheilbar gesund werden möchte wie sie, und dann ging es richtig ab.« Er wutschte sich den nachgelaufenen Christbaumschmuckschweiß von der Glommse. »Sie meinte dann, so würde das nie was mit mir, ich sei feindselig, und wir müßten Privatstunden nehmen.«
Alle Angst und alles Leiden der geschundenen Kreatur standen in seinen Augen. »Ich bin da sofort raus und habe noch was von Elektroschocks gebrüllt.« Er sah erst Jan an, dann mich. »Können wir jetzt endlich mal ein Bier trinken? Ich bin seit drei Wochen trocken, und ich glaube, ich wäre gern mal wieder naß.«
Es war der Moment, auf den Jan seit drei Wochen gewartet hatte, aber das zeigte er selbstverständlich nicht. »Wenn du meinst…«, sagte er gedehnt.
Obwohl er im kühlen Schatten saß, perlte Ralle der Schweiß am Kopfe. Auf seinen Resthaarstoppeln hatten sich kleine Tröpfchen gebildet, er sah aus wie ein Christbaum mit Fluppe. »Mann«, stöhnte er, »langsam is’ auch ma’ gut. Die machen einen hier ja zum Horst.«
»Es heißt ›Horst D’Oeuvre‹«, schoß ich zurück, einen der übelsten Kalauer von Fritz zitierend, und wie erhofft besserte sich Ralles Laune. »Der kostet ’nen Zehner«, verlangte er, ich zückte den Schein mit Freuden. Ralle steckte ihn ein und wischte sich die Rübe trocken. »Die haben mich in eine Therapiestunde gesteckt«, ächzte er, »ihr könnt euch das nicht vorstellen.«
»Nicht, solange du nichts erzählst«, ermunterte ich ihn, während der schon dunkelgrau gerauchte Jan Scheibenwischerbewegungen machte. »Da kommt dieses Reck von Frau rein«, begann Ralle, »geht an eine Tafel und malt Gesichter hin, vier Stück, teilweise lächelnd, teilweise mit Kummermund, und schreibt unter die Krakeleien dann ›Freude‹, ›Trauer‹, ›Wut‹ und noch irgendwas, und dann fragt sie mich: ›Wo würden Sie sich da einordnen heute morgen?‹ Mir wäre fast ein Ei aus der Hose gefallen, aber ich wollte nicht schofelig sein und habe gesagt: ›Bei Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.‹ So sah das Zeug schließlich aus.«
»Ja und?« fragte ich. »Die blöde Torte« – Ralle war sichtlich angegriffen – »machte mich direkt an: ›Sie sind negativ. Was haben Sie für eine Einstellung zu Ihrer Heilung?‹ Und dann habe ich ihr gesagt, daß ich niemals so unheilbar gesund werden möchte wie sie, und dann ging es richtig ab.« Er wutschte sich den nachgelaufenen Christbaumschmuckschweiß von der Glommse. »Sie meinte dann, so würde das nie was mit mir, ich sei feindselig, und wir müßten Privatstunden nehmen.«
Alle Angst und alles Leiden der geschundenen Kreatur standen in seinen Augen. »Ich bin da sofort raus und habe noch was von Elektroschocks gebrüllt.« Er sah erst Jan an, dann mich. »Können wir jetzt endlich mal ein Bier trinken? Ich bin seit drei Wochen trocken, und ich glaube, ich wäre gern mal wieder naß.«
Es war der Moment, auf den Jan seit drei Wochen gewartet hatte, aber das zeigte er selbstverständlich nicht. »Wenn du meinst…«, sagte er gedehnt.
wird fortgesetzt
Mehr aus: Feuilleton
-
Notizen aus Portugal
vom 19.09.2013 -
Niemand lebt dort
vom 19.09.2013 -
Der politische Professor
vom 19.09.2013 -
Man erkennt das Muster
vom 19.09.2013 -
Vorschlag
vom 19.09.2013 -
Nachschlag: Schlafgewandelt
vom 19.09.2013