Aus: Ausgabe vom 28.10.2013, Seite 3 / Schwerpunkt
Dokumentiert: »Gewaltspirale«
Aus dem Bericht von UN-Sonderberichterstatter Ben Emmerson nach einem Besuch in Pakistan im März 2013:
Bei Gesprächen mit einer Abordnung von Stammesältesten aus Nordwasiristan erfuhr der Sonderberichterstatter, daß es bei den Drohnenangriffen immer wieder Verluste in der Zivilbevölkerung gibt. Häufig sind erwachsene Männer, die mit normalen täglichen Tätigkeiten beschäftigt sind, die Opfer solcher Militärschläge. Die Ältesten hoben hervor, daß ein Außenstehender, der mit paschtunischen Stammessitten nicht vertraut ist, leicht Gefahr läuft, Ziele falsch zu identifizieren. Alle paschtunischen Stammesangehörigen haben ein ähnliches Erscheinungsbild wie Mitglieder der pakistanischen Taliban. Dazu gehört ähnlich aussehende, oft nicht unterscheidbare Stammeskleidung. Außerdem ist es seit langer Zeit Tradition bei den paschtunischen Stämmen, daß alle erwachsenen Männer ständig mit einem Gewehr herumlaufen.
Nach Einschätzung der Stammesältesten sind zivile Verluste ein ganz häufiges Vorkommnis. Die Bedrohung durch solche Angriffe flöße der gesamten Gemeinschaft Furcht ein. Sie unterstrichen, daß die Drohnenangriffe ihre bestehenden Stammesstrukturen schwer beschädigt und ihre Lebensweise zerstört hätten. Die dortigen Stammesgesetze, das Paschtunwali, schreibe als Reaktion auf den Verlust von Menschenleben Vergeltungsaktionen vor. (…) Dadurch werde eine neue Generation radikalisiert.
Diese Einschätzung wurde vom Minister für Menschenrechte bestätigt. Im Verlauf der Arbeiten an Pakistans Periodischem Überblick für den Menschenrechtsrat (der UN) hielt der Minister im März 2012 Beratungen ab, bei denen eingeschätzt werden sollte, ob die Drohnenangriffe zu einer verstärkten Radikalisierung in den FATA (den »Stammesgebieten«, die direkt der Regierung in Islamabad unterstellt sind – d. Red.) geführt hätten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung, auch wenn sie weitgehend auf der Schilderung von Einzelbeispielen beruhten, hätten die Schlußfolgerung unterstützt, daß die Angriffe häufig als Quelle der Radikalisierung zu gewalttätigem Extremismus unter jüngeren paschtunischen Männern angeführt würden und dadurch den Kreislauf der Gewalt verewigen.
Übersetzung: Knut Mellenthin
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