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Aus: Ausgabe vom 05.11.2013, Seite 3 / Schwerpunkt

100 Prozent friedlich und sozial statt Flucht in Europäismus: Ein Kritikpapier

Zum ersten Entwurf des Europawahlprogramms der Partei Die Linke haben Sevim Dagdelen (MdB), Ali Al Dailami (Parteivorstand), ­Diether Dehm (MdB), Ruth Firmenich (Parteivorstand), Wolfgang Gehrcke (MdB), Heike Hänsel (MdB), Alexander Neu (MdB), Ida Schillen (Parteivorstand), Alexander Ulrich (MdB), Sabine Wils (MdEP) und Wolfgang Zimmermann (Parteivorstand) das Kritikpapier »100 Prozent friedlich und sozial statt Flucht in Europäismus« formuliert:



Der Entwurf des Europawahlprogramms zeichnet ein verklärtes illusionistisches Bild der EU. Auf eine konsequente linke EU- und Euro-Kritik wird verzichtet. Sollte sich dieser Ansatz eines Verzichts auf linke EU-Kritik durchsetzen, sind weitere erdrutschartige Verluste an die »Alternative für Deutschland« (AfD) – dieses Mal bei den Europawahlen – nicht ausgeschlossen. Im Bereich der Friedenspolitik wird faktisch sogar der »humanitären Intervention« und ihren angeblichen Segnungen, wenn diese nur demokratischer entschieden werden, entgegen aller programmatischen Orientierung der Linken, das Wort geredet. Der Entwurf ist in diesem Bereich als ein Angriff auf die friedenspolitischen Positionen der Linken zu verstehen. Wählerinnen und Wähler, die an einer friedenspolitischen Orientierung mit einer unmißverständlichen Absage an »humanitäre Kriege« interessiert sind, können nur schwer angesprochen werden.

Im Entwurf entsteht der Eindruck, die EU sei keine Vertragsgemeinschaft, sondern eine des politischen Wün­schens und Wollens. Hier muß dringend, auch im Forderungsteil, Abhilfe geleistet werden und unsere Position der vertraglichen Neugründung der Europäischen Union bzw. des Neustarts der EU verankert werden. Zudem wird nicht klar, daß die EU-Krisenpolitik ein Angriff auf Demokratie und Sozialstaat in Europa ist. (...)

Unsere Ablehnung der Bankenrettungs- und Euro-Rettungspolitik wird nicht mit konkreten Forderungen untermauert. Statt dessen wird der Eindruck erweckt, Die Linke würde einer »Hilfspolitik« zustimmen, wenn sie nur die »richtigen« Konditionierungen hätte. Ein Schuldenschnitt wird daher auch nicht erwähnt, und es fehlt beispielsweise jede Erwähnung und Kritik an der Bankenunion. Die aber ist eine Lebensversicherung für »Zocker-Banken«: Statt den Finanzsektor zu schrumpfen und marode Banken kontrolliert abzuwickeln, sollen die Steuerzahler nach dem Willen der EU-Kommission weiter haften – etwa über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). (…) Die Linke fordert eine sofortige Haftung der Gläubiger und Eigentümer von Banken. Das Investmentbanking ist abzuwickeln, nur die Einlagen der Kleinsparer sowie gewerbliche Kredite sind abzusichern. Der Bankensektor muß strikt reguliert und in öffentliches Eigentum überführt werden.

Der Entwurf grenzt sich nicht von euronationalistischen Vorstellungen anderer Parteien ab. Statt dessen wird eine Absage an den Nationalstaat formuliert, der allerdings nicht nur in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch im Bewußtsein der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung der Ort der Demokratie und der Volkssouveränität ist. Auch Internationalisten werden in dem Entwurf massiv ausgegrenzt, indem man versucht, diese auf die EU festzulegen. »Vielen Menschen ist das Nationale zu eng, um ihre Heimat zu sein. Auch für uns«, heißt es und dann wird auf den Kampf für eine andere EU verwiesen.

Damit einher gehen falsche Analysen über die Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte. So heißt es auf Seite 2: »Daß immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge dem Markt geöffnet werden, läßt sich nur in ganz Europa bekämpfen.« Einen Satz später wird behauptet, daß der Kampf um eine kommunale Energieversorgung auch in Brüssel entschieden wird. Die nationalstaatliche Ebene wird ganz aufgegeben und statt dessen allein auf Brüssel als Kampffeld gesetzt. (...)

Im Bereich der Friedenspolitik findet sich der Satz: »Die EU verfügt weder über das demokratische Instrumentarium, um Auslandseinsätze entlang des Willens der europäischen Bevölkerung steuern zu können, noch tragen diese ausreichend zur Friedenssicherung bei.« Hier wird der »humanitären Intervention«, die besser demokratisch kontrolliert wird und natürlich auch effizienter sein muß, das Wort geredet. Diese Zeilen sind ein Schlag ins Gesicht der Opfer der »humanitären« Kriege. Die bisherige friedenspolitische Orientierung wird auf perfide Art und Weise in Frage gestellt, da nutzt denn auch nicht die nachgeschobene Versicherung, »für eine zivile, friedliche Politik innerhalb (sic!) Europas« einzutreten. Auf jede Kritik an der EU-NATO-Zusammenarbeit, wie der Aufstellung von EU-Kampftruppen wurde verzichtet. Auch Militärberatungsmissionen und die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe finden folgerichtig keine Erwähnung, denn dann hätte man die menschenfeindliche Unterstützung der EU mit ihren »Missionen« für autoritäre Regime in den Blick nehmen müssen. (...)

Knapp 30 Prozent oder 340000 der insgesamt verlorengegangenen Stimmen von der Linken wanderten bei der Bundestagswahl zur AfD. Die Linke hatte im Wahlkampf bei den Themenplakaten darauf verzichtet, zu Bankenrettungen und Euro-Krise Stellung zu beziehen, obwohl sie im Bundestag als einzige Partei die sogenannten Rettungspakete konsequent als Bankenrettungspakete entlarvt und abgelehnt hatte. Statt dessen plakatierte zu diesem Thema die AfD mit Slogans wie »Griechen verzweifeln – Deutsche zahlen – Banken kassieren«. Dieser Fehler darf im Europawahlkampf nicht wiederholt werden. Das muß an den entsprechenden Stellen des Europawahlprogramms deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Sonst wird die AfD als gegenwärtig gefährlichste nationalistisch-neoliberale Partei in Deutschland weiter gestärkt und Die Linke geschwächt.

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