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Aus: Ausgabe vom 12.11.2013, Seite 13 / Feuilleton

Keine Niete

Open Mike, die Entscheidung. Von Jamal Tuschick


Zweieinhalb Stunden vor der Preisvergabe beim »Open Mike«-Wettbewerb »junger deutschsprachiger Prosa & Lyrik« sah sich ein lyrisches Ich als Gespenst an seinem Geburtstagstisch sitzen. Ein kahles Gespenst von 26 Jahren, Stefan Hornbach lieferte eine Chemotherapie-Geschichte, die Eltern nennen den Sohn »Schlumpf«. Sie verniedlichen die Katastrophe. Der Kranke entgeht »einer Stadt, die nur so tut als ob«, einer verflossenen Liebe schickt er Fotos, die in ihrem Facebook-Profil erscheinen wie doppelt belichtete Sonnenuntergänge. Hornbach, Schauspieler aus Speyer, kalkulierte seinen Vortrag gekonnt, sein Held meldete: »Ich möchte niemanden mehr kennenlernen.«

Die Konkurrenz war dotiert mit insgesamt 7 500 Euro. Es heißt, ein Sieg beim Open Mike öffne die Türen zum Literaturbetrieb. Doch haben die meisten Kandidaten längst die Betriebsprüfung abgelegt. Sie könnten auch als Juroren oder Lektoren auftreten. Kompetenz über Kilometer. Sabine Gisin erzählte von »einem gefährlich selbstbewußten Kind«, altklug bis zur Vergreisung und mit »frenetischer Energie« ausgerüstet, das heißt dem Feuer eines Irwischs im Leib. Schließlich las Jonathan A. Rose die drastischste Geschichte. Für die sozialen und medizinischen Implikationen einer Geschlechtsumwandlung hat er unerhörte Worte gefunden. Da überlebt einer in der Sprache, das verstehe ich unter Literatur.

Die Jury überging Rose. Sie zeichnete Maren Kames mit dem Lyrikpreis, Jens Eisel und Dimitrij Gawrisch mit den Prosapreisen aus. Die Begründungen überzeugten, zumal bei Eisel, der dem »Unsichtbaren Gestalt und Stimme« gebe. Kames’ Begabung war am Vortag auffällig geworden. Die Jury sah lauter erste Sieger, ich keine Niete unter den Ausgezeichneten.

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