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Aus: Ausgabe vom 11.01.2014, Seite 16 / Aktion

Nackte Zeitung

Für eine höhere Rendite lassen Eigentümer die Journalisten Artikel für bessere Verwertbarkeit umschreiben
Von Dietmar Koschmieder
Vorsicht, Lesen hat Nebenwirkungen
Vorsicht, Lesen hat Nebenwirkungen
Wir leben und arbeiten im real existierenden Kapitalismus. Und wer da Zeitung macht, hat gefälligst zuallererst zu berücksichtigen, daß für die Eigentümer Rendite erwirtschaftet wird. Die Besitzer von Wohnraum fragen ja auch nicht nach sozialen Gesichtspunkten, sondern vermieten zu den maximalen Preisen, die verzweifelt Wohnungssuchende zu zahlen bereit sind. Auch private Eigentümer von Nahverkehrsbetrieben wollen vor allem Gewinne erzielen, deshalb werden Fahrpreise erhöht und gleichzeitig Leistung und Wartung beschnitten. Bei Zeitungen ist das nicht anders, auch ihre Besitzer wollen Profite einstecken. Eine Finanzgruppe um den Investor David Montgomery als Eigentümer der Berliner Zeitung strebte noch vor wenigen Jahren 20 bis 25 Prozent Rendite an. Das gleiche Ziel verordnete zur selben Zeit der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, seinem Unternehmen. Wie die erreicht werden, war unwichtig. Die Zeiten, in denen solche Ziele mit Tageblättern zu schaffen waren, sind allerdings vorbei. Kapitaleigentümer suchen sich deshalb meistens andere Anlageobjekte. Die Folge: Zeitungen werden eingestellt (wie die Financial Times Deutschland) oder verkauft (wie die einst renommierte Basler Zeitung). Oder man sucht verzweifelt nach Wegen, im Internet Geld zu machen (wie der San Francisco Chronicle).

Es gibt Reiche, die verdienen sich schon durch Ausbeutung der Beschäftigten in ihren herkömmlichen Betrieben dumm und dusselig. Die investieren dann, wie der Schweizer Multimilliardär Christoph Blocher von der rechtskonservativen SVP, in solche nicht mehr rentable Medienprodukte wie die Basler Zeitung – um sie ins Reaktionäre zu wenden. Noch immer geht es um Rendite, obgleich um politische. Aber auch ökonomisch greift man durch, um Verluste zu minimieren. So schließt die Blocherzeitung mal rasch die zeitungseigene Druckerei und reduziert zudem hier und dort, auch an journalistischem Aufwand – und nennt das dann »Basler Zeitung nackt«.

Außerdem gibt es ja neue tolle Vermarktungsmöglichkeiten. So ist es wirtschaftlich gar nicht sinnvoll, daß Journalisten ihre Artikel aufwendig recherchieren und sie dann über die Zeitung oder das Internet interessierten Leserinnen und Lesern anbieten. Um sinkenden Auflagenzahlen entgegenzuwirken und »im digitalen Zeitalter relevant zu bleiben, … sollen Reporter lernen, ihre eigenen Storys mittels Analysetools zu tracken und auf ihre Publikumsverträglichkeit und Klicks hin zu prüfen«, wie diese Woche von Branchendiensten gemeldet wird. Beiträge werden also nach Verwertbarkeit umgeschrieben. So schickt der San Francisco Chronicle die Reporter auf zweimonatige Digital- und Social-Media-Camps, um ihnen beizubringen, wie mit neuen digitalen Anforderungen umgegangen wird. Journalisten sollen »künftig in erster Linie digital denken«. So neu sind beide Wege allerdings nicht: Wer zahlt, bestimmt die Musik, also die Inhalte.

Das alles wird weder die Basler Zeitung noch den Chronicle retten. Denn trotz allem kauft eine Zeitung auch im digitalen Zeitalter nur, wer lesen kann. Und man sollte nicht ausschließen, daß jemand, der lesen kann, auch denken will. Wer aber denkt, hat Fragen: Wem gehört die Zeitung? Wessen Interessen vertritt sie? Wie wirkt sich das auf ihre Inhalte aus? Warum hat mein Alltag mit dem, was da geschildert wird, so wenig zu tun? Früher konnten Journale leichter als objektiv, überparteilich, neutral verkauft werden. Heute ist schneller erkennbar, daß Inhalte von Tageszeitungen in Wirklichkeit von Eigentumsverhältnissen und so von Klassenverhältnissen geprägt sind, die Schleier der angeblichen Unabhängigkeit fallen. In diesem Sinne hat der alte Blocher das zwar nicht gemeint, aber er hat recht mit seiner nackten Basler Zeitung.

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