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Aus: Ausgabe vom 29.03.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

Dokumentiert: Claus Klebers Übermenschentum

In der Krim-Krise sehe man, der »Echtzeitjournalismus« sei schneller »als die Reaktionszeit für einen Atomangriff«, er setzte auf die »Semantik der Eskalation« und werde dadurch selbst zur Waffe, schreibt FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in der Freitagausgabe seiner Zeitung.

Als am Mittwoch abend der deutsche Fernsehmoderator Claus Kleber über den Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser wie ein Strafgericht hereinbrach, erlebte der Zuschauer eine Sternstunde der Selbstinszenierung des Journalismus. Unerbittlich nahm Kleber den Mann in die Zange: Kaeser war, lange geplant, nach Moskau gefahren (»Was haben Sie sich bei Ihrem Freundschaftsbesuch gedacht?«), er hat nicht nur Putin besucht (»Wie lange mußten Sie warten?«), sondern auch den mit Einreiseverbot belegten Eisenbahnchef (»Und Sie haben mit dem geredet!«) – und das alles, so Kleber, »als Repräsentant eines Unternehmens, das auch für Deutschland steht«. (…)

Diese Inquisition, die auch in ihrem nur dem Remmidemmi verpflichteten Desinteresse daran, was Kaeser von Putin denn gehört haben könnte, alles in den Schatten stellt, was man an Vaterlandsverratsrhetorik aus dem wirklichen Kalten Krieg kannte, ist überhaupt nur als Symptom journalistischen Übermenschentums diskutierbar und wird dadurch allerdings auch über den peinlichen Anlaß hinaus interessant. Beharren auf einer normativen Deutung dessen, was die westlichen Sanktionen angeblich bedeuten, verwandelt Journalismus in Politik und das Fernsehstudio in einen Ort, wo der Interviewer plötzlich außenpolitische Bulletins abgibt: Claus Kleber zeigt der deutschen Wirtschaft die rote Linie auf.


Die Deutschen sollten nicht erfahren, was Joe Kaeser in Moskau tat, sondern, wie Claus Kleber darüber denkt – ein Ereignis immerhin, von dem selbst die Bundesregierung noch lernen könnte, die am selben Tag mitteilte, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland weitergehen müsse. Rußland fühlt sich gedemütigt? (Wäre ja eine denkbare Frage gewesen.) Sei’s drum. Putin läßt dafür den Verräter-Chef eines Unternehmens, »das Deutschland ist«, im Vorzimmer warten, und der läßt sich das auch noch gefallen! (…)

Es nutzt gar nichts, Klebers High Noon inhaltlich zu debattieren. (…) Die formalen Kriterien dieser fünf Minuten »heute journal« sind mittlerweile eins zu eins übertragbar auf einen aktuellen Echtzeit-Eskalationsjournalismus, der Lebenssendezeit füllen und Storys erzählen muß. (…)

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