Kann es einen fairen »RZ-Prozeß« geben?
Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck ist der Strafverteidiger von Matthias Borgmann, einem der Angeklagten im RZ-Prozeß
Volker EickF: Am heutigen Donnerstag beginnt in Berlin der Prozeß gegen Harald Glöde, Axel Haug, Sabine Eckle und Ihrem Mandanten, Matthias Borgmann, wegen Mitgliedschaft in der »terroristischen Vereinigung >Revolutionäre Zellen<«. Welche Rolle spielen in dem Prozeß die Aussagen des »Kronzeugen« Tarek Mousli?
Die Anklagevorwürfe gegen meinen Mandanten basieren fast ausschließlich auf den Aussagen Mouslis. Dazu kommen solch »gewichtige« Indizien wie der gemeinsame Schulbesuch mit dem ebenfalls RZ-Verdächtigen Thomas Kram und eine gemeinsame Plakatklebeaktion mit diesem 1973 gegen den Vietnam-Krieg. In ihrer Not mußte die Bundesanwaltschaft sogar noch die rechtswidrig gewonnenen Aussagen von Hermann Feiling aus dem Jahre 1978 recyceln, wonach die Berliner RZ damals ein in Elektronik versiertes Mitglied hinzugewonnen hätten. Er gibt zwar keinen Hinweis auf Matthias Borgmann, aber immerhin hatte dieser im Jahre 1978 ein Studium der Elektrotechnik aufgenommen. Ob ihn dies unmittelbar zu einem Elektronikexperten macht, wird das Gericht zu entscheiden haben. Also, Ironie beiseite, mehr haben die wirklich nicht.
F: Gegen Tarek Mousli wurde bereits ein mildes Urteil als Dank für seine Zusammenarbeit mit Gericht und Bundesanwaltschaft gesprochen: eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Inwieweit wurden dabei Ergebnisse festgeklopft, die bedeutsam für den anstehenden Prozeß sind?
In Strafprozessen ist es heutzutage nichts Besonderes mehr, daß die Ergebnisse zwischen den Verfahrensbeteiligten abgesprochen werden. Normalerweise laufen die Hauptverhandlungen dann allerdings in zwei Stunden über die Bühne. Im Falle von Tarek Mousli fand jedoch ein aufgeblähtes Schauverfahren von vier Verhandlungstagen vor dem Kammergericht statt. Der 2. Strafsenat wollte den Anschein erwecken, als wenn man Mouslis Aussagen tatsächlich ernsthaft prüfen würde. Dies war natürlich nicht der Fall. Jeder Beobachter des damaligen Prozesses hatte mehr die Assoziationen eines netten Gespräches zwischen zwei Generationen: der väterlich auf den ehemals jugendlich Radikalen zugehende Richter und der verlorene Sohn, der sich um die Gunst der Herren Richter und Bundesanwälte bemühte.
Für uns Verteidiger der von Mousli Belasteten ist nicht in erster Linie dieses abgekartete Verfahren ein besonderer Nachteil. Schwierig ist für uns die Prozeßsituation allerdings deswegen, weil die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt in insgesamt über anderthalb Jahren gemeinsam mit Herrn Mousli mehrere Leitzordner Aussagen produziert haben. Dieses Gemisch aus frei Erfundenem, Lügen und Verdrehen der tatsächlichen Ereignisse ist praktisch nicht entwirrbar. Wir halten daher ein faires Verfahren für kaum noch möglich. Wir setzen allerdings Hoffnungen auf den 1. Strafsenat des Kammergerichts, daß dieser sich vorurteilsfrei den Zeugen Mousli anhört.
F: Wie schätzen Sie nach Ihrer derzeitigen Kenntnis die Glaubwürdigkeit des »Kronzeugen« ein?
Wenn Zeugen ohnehin schon das unsicherste Beweismittel im Strafprozeß sind, sind Kronzeugen fast von vornherein unbrauchbar. Denn ihre Aussagen sind in hohem Maße von Eigeninteresse geleitet. Es winkt nicht nur eine Belohnung in Form einer milderen Strafe, in Form von Hafterleichterungen und, wie im Falle Mousli, einer neuen Identität mit einer großzügigen Alimentation im Zeugenschutzprogramm. Der selbst in ein Geschehen verwickelte Zeuge hat es darüber hinaus in der Hand, sich nach eigenem Gusto selbst zu entlasten und nach Sympathie und Antipathie andere Personen zu ent- und belasten.
Im Falle Mousli kommt der lange Zeitabstand hinzu, der es fast unmöglich macht, die genauen Details des damaligen Geschehens wiederzugeben. Mousli hat darüber hinaus eine Vielzahl von Widersprüchen fabriziert. Er setzt sich nicht nur zu seinen eigenen Aussagen in Widerspruch, so zum Beispiel mit der im Ermittlungsverfahren gemachten Aussage, er habe unter Druck von 1990 bis 1995 noch bei den RZ mitgewirkt. Diese Aussage machte er in seinem eigenen Verfahren rückgängig und vertrat nunmehr das genaue Gegenteil, nämlich daß er mehr oder weniger freiwillig mitgemacht hat. Bei zahlreichen anderen Einzelheiten sagte er bewußt die Unwahrheit und log und gab Vermutungen für festes Wissen aus.
F: Die vier Angeklagten befinden sich seit Dezember 1999 bzw. April 2000 in Untersuchungshaft. Haben Sie den Eindruck, daß die Vorwürfe in der Anklageschrift so schwerwiegend sind, um eine derart lange Untersuchungshaft zu rechtfertigen?
Ein »Terroristenprozeß« ist für die Bundesanwaltschaft und den Staatsschutzsenat offensichtlich kein Terroristenprozeß, wenn die Beschuldigten nicht auch in Untersuchungshaft sitzen. Nur so ist zu erklären, warum die gar nicht oder nur gering vorbelasteten Angeklagten nach elf bzw. vierzehn Monaten immer noch in Untersuchungshaft sitzen. Alle leben in sogenannten geordneten beruflichen und persönlichen Verhältnissen. Die Strafe, die sie zu erwarten zu haben, ist angesichts des Zeitablaufes, der Selbstauflösung der Organisation und auch der angeklagten Delikte selbst bei einer Verurteilung nicht so furchteinflößend, daß die Angeklagten sich dem Verfahren nicht stellen würden. Wir haben daher von Anfang an immer wieder auf eine Haftentlassung, zumindest auf eine Haftverschonung unserer Mandanten gedrängt. Bis jetzt ist jedoch auf unsere Argumente praktisch nicht eingegangen worden. Dies läßt die Vermutung zu, daß die Haft doch ein Druckmittel auf unsere Mandanten darstellt, sich nicht allzu vehement und zeitaufwendig zu verteidigen.
Artikel-Länge: 5555 Zeichen
Uneingeschränkter Zugriff auf alle Inhalte: Erleben Sie die Tageszeitung junge Welt in gedruckter oder digitaler Form – oder beides kombiniert.
Nachrichtenauswahl und -aufbereitung erfordern finanzielle Unterstützung. Die junge Welt finanziert sich größtenteils durch Abonnements. Daher bitten wir alle regelmäßigen Leser unserer Artikel um ein Abonnement. Für Neueinsteiger empfehlen wir unser Online-Aktionsabo: Einen Monat lang die junge Welt als Onlineausgabe bereits am Vorabend auf jungewelt.de und als App für nur sechs Euro lesen. Das Abo endet automatisch, keine Kündigung erforderlich.
Dein Abo zählt!
Weitere Optionen unter: www.jungewelt.de/abo.
Abo abschließen
Gedruckt
Sechs mal die Woche: Hintergrund und Analysen, Kultur, Wissenschaft und Politik. Und Samstag acht Seiten extra.
Verschenken
Anderen eine Freude machen: Verschenken Sie jetzt ein Abonnement der Printausgabe.