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Bahnhof hofft auf Kaufrausch

Umbau des Leipziger Hauptbahnhofs kostete 500 Millionen Mark

Am heutigen Mittwoch soll der für 500 Millionen DM zu einer Kaufhaus-Bahnhof-Mischung umgebaute Hauptbahnhof in Leipzig eingeweiht werden. Schon vor Baubeginn im November 1995 wandten sich Tausende Leipziger mit einer Unterschriftensammlung gegen den Umbau und speziell gegen ein Parkhaus, das auf den Bahnsteigen 24 bis 26 gebaut wurde. Während der Bauzeit kam es zu mehreren Razzien der Polizei, bei denen illegal eingestellte Arbeiter festgestellt wurden. Außerdem machten schwere Unfälle immer wieder Schlagzeilen. So scheint besonders der letzte der drei tödlichen Unfälle symptomatisch zu sein für das allgemeine Chaos auf der Baustelle und den zunehmenden Termindruck, der auf den über 100 Firmen und ihren rund 2 000 Arbeitern lag.

Erst am 6. November war ein nigerianischer Student durch das Dach des Querbahnsteiges 30 Meter in die Tiefe gestürzt. Er war von einer Installationsfirma am selben Tag zu Reinigungsarbeiten eingestellt worden und hatte das Dach ungesichert betreten. Ein paar Tage zuvor war gegen zwei Uhr nachts ein Monteur vom Kuppeldach der Osthalle gestürzt und noch am Unfallort verstorben. Insgesamt beläuft sich die traurige Bilanz der Baustelle auf drei Todesopfer und zehn Schwerverletzte.

Trotzdem dürften die Leipziger heute zumindest erleichtert aufatmen, die Reisenden hatten lange Zeit unzumutbare und ständig wechselnde Umwege durch die Baustelle in Kauf zu nehmen, um zu ihren Zügen zu gelangen. Weitere Ängste verbreiten hingegen die 20 500 Quadratmeter Verkaufsfläche, die in den »Hauptbahnhofspassagen« eröffnen werden, unter den Ladenbesitzern der Innenstadt. Erst vor ein paar Tagen hatte die sächsische Landesregierung in Dresden den Weg für Öffnungszeiten bis 22 Uhr auf 17 500 Quadratmetern Ladenfläche freigemacht. Die kleinen Ladenbesitzer sehen in diesem Beschluß eine Wettbewerbsverzerrung.

Am Ärger mit dem umgebauten Bahnhof dürften auch die täglichen doppelseitigen Anzeigen nichts ändern, mit denen in der Tagespresse ein paar Seiten hinter den neuesten Unfallmeldungen Frohsinn und Kaufrausch verbreitet werden soll.