»Ein jeder kehr' vor seiner Tür«
Bundespräsident Roman Herzog hat Tschechen wie Deutsche aufgerufen, vor der »eigenen Tür zu kehren«. In seiner Rede vor beiden Kammern des Parlaments auf dem Hradschin hat er am Dienstag das »Leid und Unrecht« bedauert, daß Deutsche dem tschechischen Volk zugefügt haben. Gleichzeitig rief er zur »ungeteilten Wahrheit gegenüber der gemeinsamen Geschichte« auf und forderte Verständnis für die Gefühle der Sudetendeutschen. Gegenseitiges Aufrechnen führe nicht in eine gemeinsame Zukunft, sagte Herzog.
Als Präsident des vereinten Deutschlands bekenne er, Herzog, sich zur ganzen deutschen Geschichte, zu ihren Höhen und ihren Tiefen. Die Gefühle, die die Nachkriegsgeneration der Deutschen beim Rückblick auf die Jahre 1933 bis 1945 bewegt hätten, seien nicht mit einfachen Formeln zu beschreiben. Ihn beherrsche ein Gefühl der Scham und der Empörung über das Leid, das Millionen Menschen in jener Zeit von Deutschen zugefügt worden war. Vor allem aber plage ihn ein Gefühl der Trauer um die Opfer dieser »sinnlosen« Politik.
Herzog unterstrich nach einem vorab verbreiteten Redetext, daß die im Januar von Bundeskanzler Helmut Kohl in Prag unterzeichnete deutsch-tschechische Erklärung in allen Teilen gelte. Wer sich jetzt ausschließe, der beraube sich selbst der Möglichkeit, die Zukunft der Deutschen und Tschechen mitzugestalten, sagte Roman Herzog weiter.
Der Bundespräsident erklärte auch, er habe Verständnis dafür, daß die Verbundenheit der Vertriebenen mit ihrer alten Heimat vielen Menschen in der Tschechischen Republik Sorgen bereite. Es sei jedoch sicher, daß die damit verbundenen Ängste unbegründet seien. Aber die Politik müsse menschliche Gefühle immer ernst nehmen. Trauer oder Schmerz, Angst oder Sorge zu unterdrücken, sei keine Lösung. Verdrängung könne letztlich zu Extremismus führen.
Die Bundesrepublik Deutschland wie die Tschechische Republik stünden nun am Beginn eines langen Weges, an dessen Ende Versöhnung stehe. Herzog sagte: »Wir Deutsche wollen um Vergebung bitten und wir wollen vergeben.« Schließlich hätten die westdeutschen Vertriebenenverbände schon in ihrer Stuttgarter Erklärung von 1948 feierlich auf Haß und Vergeltung verzichtet und sich trotz des Verlustes ihrer Heimat von einem Geist des Friedens und der Verständigung leiten lassen.
(AFP/AP/jW)
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