Unrecht und Willkür
Zu jW vom 11./12. Oktober: »DDR dominiert Debatte«
Die Abschlussfahrt mit der 10. Klasse Oberschule Bremen-Nord ging nach Berlin. Als persönlicher Assistent für einen jungen Menschen mit progressiver Muskeldystrophie begleitete ich die Klasse mit einer Lehrerin und Sozialarbeiterin, die beide ihre Kindheit in der DDR verbrachten. In einem Gespräch sagten sie mir, eine glückliche Kindheit in der DDR verbracht zu haben. Auf dem Programm stand jedenfalls nicht die Untersuchungshaftanstalt in Hohenschönhausen, nicht das Mauermuseum von Hildebrandt. Wir gingen gemeinsam in das DDR-Museum in der Karl-Liebknecht-Straße und auf dem Kudamm in »Story of Berlin«; keine verordneten Führungen, die jungen Menschen sollten sich selbst ein Bild machen. Mir wurden auch von meinen »Jungs« viele Fragen gestellt. Entsetzt waren sie von dem Atombunker auf dem Kudamm, der für über 3.000 Menschen 1973/74 gebaut wurde. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki wurde schon vorbereitet! Wir besuchten den Bundestag und das Paul-Löbe-Haus daneben. Der Bundestag ist inzwischen eine Festung. Nicht nur Ausweiskontrollen, sondern Taschen kommen durch eine Schleuse, persönlich wird der Körper abgetastet. Der Muskeldystrophiker ist 16 Jahre jung, bewegungslos und fühlt sich in seinem eigenen Körper gefangen. Völlig unsensibel und noch nicht einmal fragend, wurde Ömer von dem Wachmann aufgefordert, beide Arme hochzuheben, was natürlich nicht ging und sein Oberkörper abgetastet. Ich verwahrte mich dagegen und sagte laut: »Lassen Sie den jungen Mann los!« Spontan erinnerte ich mich, dass ich ohne größere Kontrollen 1987 im Palast der Republik an die Eingangstür zur Volkskammer gelangte und dort auch einen Schieberollstuhlfahrer erblickte. Unrecht und Willkür ist es allerdings, dass an der Gedenktafel vor dem Paul-Löbe-Haus dreist verschwiegen wird, dass eine von Paul Löbe geleitete Funktionärskonferenz beschloss, die jüdischen Parteimitglieder aus dem Vorstand zu entfernen. Genutzt hat es der SPD nichts, auch sie wurde 1933 verboten, Paul Löbe selbst monatelang inhaftiert.
Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord