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Aus: Ausgabe vom 13.06.2015, Seite 16 / Aktion

Sehr, sehr heiße Geburtstagsgrüße

Warum junge Welt-Glückwünsche zum 18. Geburtstag der Jungle World dann doch nicht veröffentlicht wurden. Eine Dokumentation
Von Dietmar Koschmieder
Entwicklungshilfe von taz und ND: Erste Jungle-World-Ausgabe vom
Entwicklungshilfe von taz und ND: Erste Jungle-World-Ausgabe vom 22. Mai 1997

Im April vor 20 Jahren wurde die Tageszeitung junge Welt eingestellt. Das weitere Erscheinen sicherte der Verlag 8. Mai GmbH, der im April 1995 gegründet wurde. Nur zwei Jahre später spitzten sich die politischen Auseinandersetzungen über den weiteren Kurs der Zeitung bis zum Bruch zu. Der Liedermacher Franz Josef Degenhardt fasste den Konflikt im Mai 1997 in drei Sätzen zusammen: »Macht weiter und versucht, das taz-Mäßige, das sich zuletzt eingeschlichen hat, zu überwinden. Davon gibt es nämlich schon genug. Unseresgleichen und auch andere wollen sich lieber an der Klassenlinie hochrangeln ...« Jürgen Elsässer, heute rechtslastiger Politaktivist und damals Redakteur der jungen Welt, vertrat die andere Seite und erklärte, dass er die Zeitung mit allen Mitteln bekämpfen werde, als dann am 21. Mai 1995 die jW-Chefredaktion nach einer Abstimmung im Verlag abgesetzt wurde. Nur einen Tag später erschien die erste Ausgabe der Jungle World – als Beileger in der taz. Entwicklungshilfe leistete auch das Neue Deutschland – dem kurz danach die zweite Ausgabe beilag. Der jungen Welt wird Antisemitismus und Schwulenfeindlichkeit angedichtet, das interessierte die Konkurrenzzeitungen damals aber reichlich wenig. Und am 2. Juni 1997 erschien dann die erste reguläre Ausgabe der Jungle World am Kiosk. Eine erstaunliche Leistung.

Jungle World blieb zwar eine Wochenzeitung, aber auch eine solche über 18 Jahre am Markt zu halten, ist beachtlich. Deshalb wollte die Jungle-Redaktion unlängst die Volljährigkeit feiern und bat auch junge Welt per E-Mail um Glückwünsche. Nicht nur mich überraschte diese Anfrage – so freundlich und mutig haben wir die Kolleginnen und Kollegen von der Jungle World noch nie erlebt: »Lieber Dietmar Koschmieder, am 2. Juni diesen Jahres wird die Jungle-World volljährig! Genau vor 18 Jahren konnte man die erste Jungle am Kiosk kaufen. Seitdem sind wir ausgezogen, umgezogen, sitzengeblieben, haben uns verliebt und sind enttäuscht worden, haben neue Freunde gefunden (obwohl die ja keiner braucht) und einige auf dem Weg verloren. Zu unserem Freudentag wünschen wir uns von Dir einen kleinen Glückwunsch. Der kann böse oder gut gemeint sein, in Reimform oder als frommer Wunsch … Grüße, J.H.« Dazu war ich gerne bereit und lieferte wie gewünscht 1.000 Zeichen: »Die Erfolgsgeschichte der Jungle World basiert auf Lügen. Bei deren Verbreitung assistierten Neues Deutschland und taz, in denen die ersten Ausgaben als Beilagen erschienen. Die junge Welt sei antisemitisch und schwulenfeindlich, wurde da frei erfunden. Der Geschäftsführer mache mit zwei verbliebenen Redakteuren die junge Welt alleine, die Mehrheit der jW-Belegschaft stehe hinter der Jungle-Fraktion – weitere Unwahrheiten. Solche Verhältnisse wurden konstruiert, indem man zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen von Text-, Bild- und Endredaktion, Gestaltung und Verlag ignorierte. Chefstratege des Putschversuches gegen die junge Welt vor 18 Jahren war Jürgen Elsässer, den heute junge Welt wie Jungle World als antisemitisch und schwulenfeindlich entlarven müssen. Trotzdem, der Bruch war konsequent – und Voraussetzung dafür, dass die junge Welt ihre marxistische Position und kompromisslose Haltung gegen jede deutsche Kriegsbeteiligung beibehalten konnte. Deshalb sag' ich einfach mal: Danke, Jungle World

So ganz behagten diese Grüße der Jungle-Redaktion dann wohl doch nicht: »Vielen Dank für den Text. Der Absatz mit Elsässer ist juristisch sehr sehr heiss. Wie Sie wissen hat der Antisemitismusvorwurf bereits Jutta Ditfurth eine Klage eingebracht. Sowohl für Sie als Verfasser als auch für uns als Medium würden wir das gerne vermeiden. Gibt es eine Möglichkeit den Absatz anders zu formulieren? Grüße aus Kreuzberg...« Und ich bin davon ausgegangen, dass es wenigstens in der Sache weitgehende Übereinstimmung gäbe. Aber an dieser Frage sollte unser Gruß nicht scheitern: »Liebe Frau H., der Elsässer-Absatz ist juristisch nicht problematisch. Man darf aus verschiedenen Gründen sehr wohl der Meinung sein, Elsässer sei Antisemit und darf dies auch öffentlich äußern. (…) Einer wie Jürgen Elsässer, der früher ganz schnell mit dem Vorwurf ›Antisemit‹ zuschlug, muss sich im Gegenzug eben gefallen lassen, dass er bei Vorliegen von Hinweisen ebenfalls als solcher bezeichnet wird. Ich habe in junge Welt Elsässer an mehreren Stellen deshalb im Argumentationszusammenhang als Antisemiten bezeichnet, was von diesem zwar zur Kenntnis genommen wurde, aber nie zu einer Klage geführt hat. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn wir den Satz so stehen lassen würden. Ein Prozess wird nicht folgen – und wenn doch, sähe ich dem mit großer Gelassenheit entgegen. Wenn die Sache für euch aber zu heiß bleibt, würde ich folgende Änderung vorschlagen: ›Chefstratege des Putschversuches gegen die junge Welt vor 18 Jahren war übrigens jener Jürgen Elsässer, dem die junge Welt aus aktuellen Anlässen mehrfach antisemitische und schwulenfeindliche Haltungen nachgewiesen hat.‹ Geht das so? Einen schönen Tach wünscht D.K.«

Es ging natürlich nicht so: »Lieber D.K.«, lautete die Antwort, »leider haben wir den Text in der aktuellen Ausgabe nicht drucken können. Rechtlich ist das für uns zu unsicher gewesen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis. Grüße …«

Dafür wurden dann andere, kritische Beiträge in der Ausgabe vom 4. Juni 2015 abgedruckt, so »von der schrulligen Osttante« Tom Strohschneider oder der »großen Schwester« Regina Stötzel, beide vom Neuen Deutschland, wo man dann lesen durfte: »Vorwärts im Kampf für Revolution, Weltfrieden, ausreichend alkoholische Getränke und Freunde, die keiner braucht! Weiter so!«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!