Barcelona: Absteigende Mittelschicht trifft auf die ganz unten
Von Arnold SchölzelEin Krimi im klassischen Sinn von »Wer war’s?« ist Carlos Zanóns »Die Hälfte von allem« (Originaltitel »No llames a casa – Ruf nicht zu Hause an«, 2012) nicht: Gemordet wird zum Schluss, der Täter kommt ungeschoren davon, keine Ermittlungen, keine Verurteilung. Das Buch ist dennoch ein echter Thriller, die Spannung zerrt an den Nerven. Zanón ist ein Meister der »Novela negra«, einer Literatur, die in der Weltwirtschaftskrise der 30er und 40er Jahre schon einmal blühte. Ihre Inhaltsstoffe sind diffuse Angst, Gewalt, Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Korruption.
Es handeln im Grunde soziale Gruppen, ohne dass die Figuren Schablonen werden: Absteigende Mittelschicht trifft in Barcelona auf die ganz unten, auf jene, die wie Ertrinkende um soziale Rettung kämpfen. Der Klappentext sagt: »Hungerleider, Schwindler, Säufer, Nutten und Bettler fechten einen grausamen Überlebenskampf aus.« Eine eigene Wohnung zu haben ist höchstes Glück, der Traum vom schnellen Geld und vom Rückzug ins Heimatdorf hält aufrecht. Er kostet hier mehrere Menschenleben.
Konkret: Drei Kleinkriminelle haben eine Geschäftsidee. Sie spähen Pärchen, die verheiratet sind, aber nicht miteinander, in Stundenhotels aus und bitten sie zur Kasse. Dabei treffen sie auf Merche und Max. Sie ist noch verheiratet, er nicht mehr – was die Erpresser nicht wissen. Max ist wegen Familientrennung, Unterhaltszahlung und Merches Ausweichen in Sachen Scheidung gereizt. Als die Desperados sich bei ihm zwecks Barzahlung melden, dreht er die Chose um. Er zahlt – wenn der Ehemann Merches aus dem Weg geräumt wird. Seine Devise: Wer nicht aufs Ganze geht, dem bleibt nur die Hälfte von allem. Es ist die eines Gutverdieners aus der neoliberalen Klonretorte. The Winner takes it all – Der Gewinner holt sich alles. Über die Leichen, die dabei hinterlassen werden, redet keiner. Wie in der heutigen Weltordnung. Zanón erzählt vom Umgang derjenigen, die ein paar lächerliche Krümel besitzen, mit denen, die nichts haben. Gnadenlos und böse.
Carlos Zanón: Die Hälfte von allem. Nagel & Kimche, München 2014, 336 Seiten, 19,90 Euro
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