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Aus: Ausgabe vom 30.10.2015, Seite 16 / Aktion

junge Welt-Geschäftsführer vor Gericht

Wer Nazipropaganda stört, macht sich bei deutschen Behörden unbeliebt
Von Denis Gabriel
Nazi- und Polizeibesuch mit Folgen. Über die wird am kommenden M
Nazi- und Polizeibesuch mit Folgen. Über die wird am kommenden Mittwoch vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten verhandelt

Ein gespenstisches Szenario am 17. Juni 2011: Ein kleines Häuflein NPD-Anhänger, darunter der damalige NPD-Vorsitzende, veranstaltet mit behördlicher Genehmigung direkt vor dem Verlagsgebäude der Tageszeitung junge Welt eine Kundgebung, um gegen die DDR zu hetzen und Großdeutschland hochleben zu lassen. Das massive Polizeiaufgebot, das auch dieses Mal die Nazis vor Gegendemonstranten schützt, kann nicht verhindern, dass von der Dachterrasse der junge Welt-Redaktion mit Wasser gefüllte Luftballons auf die Nazis fallen. Des weiteren hält die Polizei später in Berichten fest, dass eine Täterin mit einem Kochlöffel auf einen Topf eingeschlagen habe und gar mit einer roten Fahne gewedelt wurde. Die Polizei hindert Passanten am Betreten oder Verlassen der jW-Redaktion, versperrt Türen zu jW-Räumen, eine davon blockiert sie sogar mit Balken und Brettern. Die Beamten verweigern dem Geschäftsführer der Tageszeitung junge Welt, Dietmar Koschmieder, als Mieter des von Nazis wie Polizei heimgesuchten Objektes jede Auskunft. Statt dessen setzt man ihn mehrfach fest und veranlasst Identitätsüberprüfungen – unter anderem mit der Begründung, er habe Fotografien angefertigt und eine Eingangstüre zuziehen wollen.

Nazis und uniformierte Begleiter ziehen ab, die Polizeieinheit hinterlässt eine zerstörte Eingangstüre zum junge Welt-Verlag. Beim Überprüfen des Schadens und Absichern der Türe durch den Geschäftsführer tauchen plötzlich erneut Polizeikräfte und Spezialfahrzeuge auf. Sie umstellen ein Taxi und fordern die Fahrgäste zum Verlassen des Fahrzeugs auf. Koschmieder protestiert und wird ebenfalls festgesetzt. Ohne Angaben von Gründen soll er fortgeführt werden, seine Bedingung, dies in Begleitung eines Redaktionskollegen zu tun, wird abgelehnt. Daraufhin werfen Polizisten Koschmieder nieder und versuchen, ihn zu fotografieren. Angeblich soll erneut seine Identität festgestellt werden. Koschmieder verhält sich völlig passiv, trägt trotzdem blaue Flecken und Schürfwunden davon.

Es kommt, wie es dann in diesem Lande immer öfters kommt: Die Aufforderung des Anwalts Johannes Eisenberg an den Berliner Polizeipräsidenten, die geschilderten Maßnahmen für rechtswidrig zu erklären, wird nicht beantwortet. Koschmieder erhält im Dezember 2011 einen Strafbefehl in Höhe von 1.500 Euro, weil er mit Gewalt Widerstand geleistet habe. Nach dem sofort eingelegten Widerspruch kam es dann am 1. Februar 2013 zur Hauptverhandlung, zu der aber die Staatsanwaltschaft ohne Angaben von Gründen nicht erschien. Diese Hauptverhandlung wird nun am kommenden Mittwoch, den 4. November 2015, ab 12.00 Uhr vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten in der Turmstraße 91 in 10559 Berlin, Raum 135, stattfinden (U-Bahnhof Turmstraße). Eine interessante Veranstaltung mit aufklärerischem Wert, deren Besuch auch deshalb jedem, der Zeit hat, empfohlen werden kann.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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