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Aus: Ausgabe vom 23.11.2015, Seite 11 / Feuilleton

Unser Nationaltheater. Eine Tagebuch­premiere

Dass DDR und BRD sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihres Theaters, verdeutlichen neuveröffentlichte Tagebucheinträge eines Dramaturgen, den es 1991 ans Deutsche Theater (DT) verschlug. Der neue Intendant Thomas Langhoff brachte diesen Michael Eberth damals von der Wiener Burg mit. Langhoff hatte Eberths »Gerede« zehn Jahre lang »brutal ignoriert«; nun kamen sie am DT in den Genuss des »an keine Wirklichkeit gebundenen Schwadronierens«. Der Hass wuchs beiderseits minütlich.

Eberth wurde erfahreneren Kollegen als Chef vor die Nase gesetzt und gewann schnell die Gewissheit, dass Ostspieler sich »vor jedem tiefen Gefühl schützen« müssten, weil alles andere bei ihnen schon in grauer Vorzeit zu unermesslichem Leiden an einem »Leben in der Gefangenschaft« geführt hätte. Im ganzen Volk der Stasitäter scheint ihm kein »Rest von Gewissen«. Und noch die schrille Ironie eines »ungebärdigen jungen Künstlers aus der Offszene von Berlin Ost« namens Bert Neumann bleibt ihm »total fremd«. Dennoch verfolgt er sehnlichst, wie sie an Castorfs Volksbühne mit Provokation, Trauer und Wut experimentieren, während am DT nur die Eingemeindung des »Kranzler-Publikums« (Heiner Müller) neu ist, das jede DDR-Erfahrung höhnisch verlacht.

Allein gegen alle kann Eberth im April 1993 seinen Studienfreund Botho Strauß durchsetzen, der Langhoff beim Italiener »vom Ärger mit einer Baufirma« berichtet, »die beim Isolieren der Grundmauern seines Hauses in der Uckermark geschludert hat, und Thomas konnte in wundersamer Fügung von den Problemen beim Isolieren der Grundmauern seines Fachwerkhauses am Teupitzsee erzählen« – das Eis ist noch vor dem Dessert gebrochen, Strauß steht auf dem Spielplan. Wenige Wochen später vermerkt Die Wochenpost anlässlich einer Langhoff-Inszenierung, dieses Theater sei »schöner, als wir es verdienen. An nichts reibt es sich mehr, kein Gran Realitätsschmutz (...). Es bleibt mit sich selbst daheim: freundlich, professionell und erbaulich. Die Kritiker sind begeistert, sie haben nun endlich ein Theater, von dem sie sagen können: Dies ist unser Nationaltheater.«

In diesem Mai 1993 erhebt sich bei der Ensembleversammlung Eberhard Esche und sagt: »Der Chefdramaturg ist der Feind des Deutschen Theaters.« Dann setzt er sich wieder, es gibt kaum Einwände (überhaupt keine von Dramaturgen), und alles geht seinen Gang.

(xre)

Michael Eberth: Einheit. Berliner Theatertagebücher 91–96. Alexander Verlag, Berlin 2015, 344 S., 24,90 Euro, Buchpremiere heute, 20 Uhr, Deutsches Theater

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