Veda hat noch Tee da. Abenteuer bei der Gefühlsunterscheidung
Von Wiglaf DrosteIn meinem Lieblingsteeladen sah ich eine Packung, auf der »Nur Mut! Das schaffst du« stand; erstaunlich, wie Teesorten heißen beziehungsweise angetitelt werden. »Wenn ich das kaufe, kann ich mir auch einen Strick nehmen«, dachte ich, doch die Verkäuferin missdeutete den Ausdruck meines entgleisungsgefährdeten Gesichts als Interesse und drückte mir, weil sie mich als guten Kunden kannte, die Packung mit einem Lächeln und einem »Das schenke ich Ihnen« in die Hand. Mir wurde ganz flau und summselig.
Zu Hause packte ich den Mutmacher aus, es handelte sich um eine Mischung aus Rose und Hibiskus, und außen auf der Verpackung las ich: »In bestimmten Situationen hilft es, gut zwischen den Gefühlen unterscheiden zu können. Etwa ›Empfinde ich jetzt wirklich die durchaus nützliche Angst? Die mich heil von einer auf die andere Straßenseite bringt? Oder sind meine Befürchtungen unbegründet?‹ Mach dich dann gerade und begegne dem Moment: mit Wildrosenblüten und Hibiskus. HARI TEA. Bring The Temple Home«.
Ich machte mich also nicht krumm und ließ die Esobrühe zunächst unangerührt, auch wenn sie »nach alten vedischen Prinzipien zusammengestellt« war, »die Kräuter, Blüten und Gewürze allesamt aus kontrolliert biologischem Anbau« stammten und »in feinste Baumwollsäckchen gefüllt und einzeln verpackt« worden waren, in denen sie »ruhen« konnten, »um später ihr wunderbares Aroma entfalten zu können«.
Auch die mich anduzende Dutzendanweisung »Nun lehn dich zurück und lass dich verzaubern – von Hari Tea« nahm ich zur Kenntnis, öffnete die Schachtel und las innen weiter. Es war wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, nur nicht so aufregend; das hätte eventuell der Gemütsgesundheit abträglich sein können. »Vor vielen tausend Jahren gab es Yogis, die ein einfaches naturverbundenes Dasein führten; die in enger Beziehung zu ihrem Körper lebten, ihrem Geist, ihrer Seele – dem großen Ganzen.«
Die Reise in den eigenen After wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen, kochte Wasser, goss den Tee auf, ließ ihn weisungsgemäß fünf bis sechs Minuten ziehen, füllte eine Tasse und trank den roten, parfümiert und säuerlich schmeckenden Sud, schüttelte mich, dachte »Nur Mut! Das schaffst du« und schüttete den Rest in enger Beziehung zu meinem Körper, heil!froh und ganz ohne die nützliche Angst, eine Straße zu überqueren, aus der Kanne in den Ausguss der Spüle. Wie schön es doch ist, wenn Frau Veda keinen Tee da hat.
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