Weltspitze im Profanen
Von Rainer WerningHeute sind etwa 55 Millionen wahlberechtigte Filipinos zum Urnengang aufgerufen. Als die Präsidentschaftskandidaten sich im vergangenen Oktober bei der Wahlkommission (Comelec) registrieren ließen, glich das dem Öffnen einer Horrorbox. Illustre Gestalten strebten da ins höchste Amt. Beispiele gefällig? Der knapp 20jährige Earl Christian Ansan erklärte sich im Superheldenkostüm zu »Captain Robotron«, einem Homie von Osama bin Laden. Allan Carreon, ein Mitvierziger, versicherte den Wählern als »Botschafter der Intergalaktischen Erde«, er werde sich im Falle eines Sieges Ratschläge von Aliens holen. Jose Larry Maquinana (41) präsentierte sich als »Hitler seiner Generation« im Hakenkreuzshirt und garantierte seinen Landsleuten die stärkste Wehrtechnik aller Zeiten. Bescheidener trat der bärtige Romeo John Ygonia (51) als »Erzengel Luzifer« auf; den Namen seines »Meisters« mochte er nicht nennen. Einfluss von oben machte auch die 70jährige Marita Arilla geltend, eine pensionierte Lehrerin, welche die am 4. Juli ebenfalls 70 werdende Republik der Philippinen in eine Monarchie für Gott zu verwandeln versprach. Der Mitsechziger Arturo Pacheco Reyes war da praktischer. Als »Vier-Jahreszeiten-Moses« gelobte er, seine geschundenen Landsleute ins ebenso gelobte Land zu führen. Den von tropischer Hitze gebeutelten Filipinos will er zudem Kühlung verschaffen – durch Legalisierung der vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Alle diese Personen hielten damals stolz ihre Registrierungsurkunden in die Kameras, wurden aber letztlich als sogenannte Nervkandidaten für das höchste Amt im Staate nicht zugelassen.
Zugelassen für den Senat, das Unterhaus und die Bürgermeisterposten sind indes auch Personen, die in der landesspezifischen »Kultur von Straffreiheit« groß wurden oder daraus politisches Kapital zu schlagen vermochten. Die philippinischen Mühlen der Justiz gelten als die weltweit am langsamsten mahlenden. Die in Hongkong ansässige »Asiatische Menschenrechtskommission« nannte die Strafgerichtsbarkeit vor einigen Jahren schlichtweg »verrottet«. Nur so ist zu erklären, dass der von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen als »Schlächter« bezeichnete antikommunistische Exgeneralmajor Jovito Palparan einen Senatssitz anstrebt. Einer der Hauptangeklagten des im November 2009 in der südlichen Provinz Maguindanao verübten Massakers, bei dem 58 Menschen – darunter 32 Journalisten – ums Leben kamen, kandidiert in dem Ort Shariff Aguak für das Bürgermeisteramt: Sajid Ampatuan, auf Kaution frei. Auch zwei strafrechtlich belangte Expräsidenten empfehlen sich erneut für öffentliche Ämter. Joseph Estrada, 2001 als Präsident aus dem Amt gejagt, wegen Plünderung der Staatskasse unter Hausarrest gestellt und später verurteilt, wurde von seiner Nachfolgerin Gloria Macapagal-Arroyo amnestiert. Seit 2013 ist er Bürgermeister von Manila und steht heute zur Wiederwahl. Frau Arroyo, angeklagt wegen Wahlbetrugs und Korruption, doch im privilegierten Krankenhausarrest, kandidiert zum dritten Mal für den Kongress im zweiten Wahlbezirk ihrer Heimatprovinz Pampanga – ohne Gegenkandidaten, eine wunderbare Elastizität der Elitendemokratie.
Weltspitze sind die Filipinos– ich sage bewusst die – darüber hinaus in mindestens vierfacher Hinsicht. Und zwar was das Simsen, »Malling«, »Tsismis« und das Kreieren von Akronymen betrifft. Schilder warnen Fußgänger im Inselreich eindringlich davor, die Straße mit Blick aufs Smartphone zu überqueren. Es gingen auch schon ernste Anfragen an die im überwiegend römisch-katholischen Inselreich mächtige Bischofskonferenz ein, ob die Beichte qua Handy erfolgen könne. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. »Malling«, das Schlendern mit engen Freunden in klimatisierten Shopping-Malls, die von Jahr zu Jahr gigantischer werden, bietet willkommene Kühlung und Abwechslung. (Pfiffige Seelen haben als Lieblingssport von Reichen mit dem extravaganten, raffgierigen »imeldific«-Lebensstil der früheren First Lady Imelda Marcos das »Mining« ausgemacht. Nix mit Bergbau und Minen, sondern schlicht und ergreifend: »Das ist mein und das ist mein …«) »Tsismis«, das Streuen und Aufbrutzeln von Gerüchten und Mutmaßungen – wie schal wäre das Leben ohne!
Letztlich die Akronyme: Mein Favorit ist noch immer »Gringo« für »Government-run-(and-)inspired NGO«, was sich ins Deutsche eventuell als »eierlegende Wollmilchsau« übertragen ließe. »Carmma« steht für »Campaign Against the Return of the Marcoses to Malacañang«, gegründet im Februar zur Erinnerung an den Sturz des gehassten Despoten Ferdinand Marcos vor 30 Jahren. Getragen wird die Kampagne von Folteropfern und Hinterbliebenen ermordeter bzw. verschwundener Aktivisten. Sie werden womöglich ein böses Erwachen erleben, wenn »Bongbong«, der 58jährige Marcos junior, aus den heutigen Wahlen als Vizepräsident hervorgehen sollte.
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