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Aus: Ausgabe vom 27.08.2016, Seite 11 / Feuilleton

Luft nach oben

Das war die Festivalsaison (4 und Schluss)
Von Helmut Höge

Bei den nicht vom Kapital organisierten Open-Air-Events wird die Tendenz sichtbar, sich auf oder am Rande eines Festivals mit Wohnwagen oder ausgebautem Kleinlaster dauerhaft niederzulassen. Das ist z. B. auf dem Gelände der Heilstätte Grabowsee der Fall, das von »The Growing Art Village« besiedelt und bespielt wurde. Ähnlich ist es auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei bei Lehrte, wo gerade das »Fuchsbau«-Festival stattfand, das seine Macher vom Freistaat »Zytanien« mieteten. Diese 1990 legalisierte »Besetzer-Kommune«, die dort mit »19 Aussteigern« sowohl in Steinhäusern als auch in Wohnwagen lebt, und unter anderem Nutztiere hält, veranstaltet zwei Wochen nach der Hannoveraner Fuchsbau-Gruppe ein eigenes Festival am See – ihr 30. bereits. »Das hier ist nicht einfach irgendeine Kommune, für mich ist das meine Familie«, erklärte die in »Zytanien« geborene Milena dem NDR. Es ist auch ein prima Abenteuerspielplatz, der immer weiter ausgebaut und künstlerisch gestaltet wird. Die vielen in den dortigen Hallen brütenden Schwalben hätten sich inzwischen auch an das alljährliche lange Wochenende mit lauter Wummermusik gewöhnt. Der Name des »Freistaates« geht auf die »Zytan AG« zurück, die dort bis in die 1980er Jahre Ziegel herstellte, ihre Lehmgrube ist heute ein Badesee.

So werden vielerorts aus langfristig angelegten Produktionsstätten Kurzzeit-Locations. Auch die sich dort Ansiedelnden ziehen irgendwann mit ihrem Wohnwagen weiter, vielleicht zur nächsten bespielbaren Industrieruine. Die Frage ist, was kommt nach den Festivals? Bzw. wohin werden die heutigen sich entwickeln? Schon jetzt lässt sich sagen, dass die großen, von kapitalkräftigen Eventveranstaltern aus dem Boden gestampften Open-Air-Festivals (ab etwa 20.000 Besucher) sehr starfixiert sind, während die kleineren, nicht selten von klammen Studenten organisierten Musikfestivals sich eher diversifizieren – und z. B. immer mehr bildende Künstler und Vortragende verpflichten bzw. tolerieren, bis hin zu Hightechbastlern, Yogameistern und Zukunftsdeutern.

Von den etwa 500 Leuten, die das »Artbase Festival Grabowsee« besuchten, waren fast alle Künstler, meinte eine Cateringgruppe ziemlich beeindruckt. Bei den etwa 1.000 Besuchern des »Fuchsbau-Festivals« handelte es sich mehrheitlich um Studierende, wird behauptet. Eine ethnologische und ethnographische Studie der hiesigen »Festivalkultur« könnte vielleicht weiterhelfen.

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