Verrat in Weiß
»Es gibt mehr latente Roy-Black-Fans, als man glauben möchte.« Mit dieser recht betrüblichen Mitteilung präsentierte Christoph Waltz einst in der »Harald Schmidt Show« (Sat.1) den Fernsehfilm »Du bist nicht allein – die Roy-Black-Story« (1996). Waltz spielt die Titelrolle in diesem Film, der mit einem Auftritt von Roy Black and his Cannons in einem Augsburger Tanzklub beginnt. Den Vornamen hatte der 20jährige Frontmann Gerhard Höllerich von seinem Idol Roy Orbison, die Band coverte Elvis und die Beatles.
Ihr Sänger hatte sich zu einem BWL-Studium durchgerungen. Auch nur um des lieben Geldes willen ließ er sich wenig später im Studio des Majors Polydor zum Einsingen des Schlagers »Du bist nicht allein« überreden, seinem Solodebüt. »Ich möchte dieses Lied nicht singen«, sagt Waltz im TV-Film hinter dem Mikro kleinlaut, »ich bin Rock’n’Roller«. Der Verrat an der Band und allem, wofür ihre Musik stand, brachte ihn im Winter 1965 in die Hitparaden. Im Frühjahr 1966 wurde er mit »Ganz in Weiß« zum Schlagerstar.
Jahrelang landeten seine Schnulzen in den Top ten, zuletzt im Herbst 1971 ein kindisches Duett mit einer zehnjährigen Norwegerin, »Schön ist es, auf der Welt zu sein«. Sein Dauergrinsen saß da schon sehr schief, man konnte ihm die Überwindung ansehen, die es kostete. Wie sehr Roy Black zum Inbegriff dessen geworden war, was er verachtete, zeigte der »Schnulzenerlass« des Generalintendanten des Österreichischen Rundfunks vom Mai 1968, der sich explizit gegen die Säuseleien »germanischer Schwachsinniger« richtete und, wie Moderator André Heller rückblickend meinte, sehr hilfreich war bei der »Ent-Roy-Blackisierung der Jugendkultur zugunsten von Frank Zappa, den Rolling Stones und Led Zeppelin«.
Von solch freien Geistern hielten die meisten in der BRD wenig. Die schmerzhaften Zwänge, denen sie sich für harte D-Mark unterwarfen, wurden von Roy Black besungen oder bejammert. »Ein Mann darf niemals weinen« (1978) war schon nah am Heulkrampf. Schwere Depressionen suchten den verhinderten Rocker heim, erfolgreiche Auftritte in der Verdrängungshochleistungsmaschine BRD-Fernsehen verschlimmerten seine Seelenqualen eher. Am 9. Oktober vor 25 Jahren hat er sich nach einer Herz-OP totgesoffen. Es gibt nach wie vor Leidensgenossen. 2007 sang Axel Prahl in einem Film von Bernd Böhlich über traurige Helden im Plattenbau wunderbar befangen jenen Song, mit dem Roy Black auf die schiefe Bahn des Erfolgs geriet. Dreimal dürfen Sie raten, wie dieser Film hieß. Zu gewinnen gibt’s Roy Blacks Lieblingswitz: »Wie bekommt man das Gehirn eines Schlagersängers auf Erbsengröße? – Einfach aufblasen!« (xre)
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