Marxismus fürs Auge
Autoren, die nicht von »politischem Bewusstsein durchdrungen« seien, könnten nur »Schund« hervorbringen, schrieb der britische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger in seinem Buch »Und unsere Gesichter, mein Herz, vergänglich wie Fotos« (1986), in dem er auch das »gigantische« Denken von Marx philosophiegeschichtlich herleitete. Weltberühmt wurde Berger 1972 zum einen mit der BBC-Serie »Ways of Seeing« über Kunstgeschichte, in der er etwa fragte, wie man bedeutende Werke aus dem Privateigentum von Großgrundbesitzern zum »nationalen Erbe« zählen könne. Zum anderen erhielt er in jenem Jahr den Man-Booker-Preis – die wichtigste britische Literaturauszeichnung – für seinen Roman »G«, und stiftete die Hälfte des Preisgeldes der revolutionären afroamerikanischen Black-Panther-Bewegung.
Sein Buch »Die Spiele« war in den 50er Jahren noch als tendenziös kommunistisch durch den Verlag vom Markt genommen worden. 1962 hatte er aus Protest gegen die politische Reaktion sein Heimatland verlassen und sich in ein französisches Bergdorf zurückgezogen, in dem er bis zuletzt lebte. Neben Drehbüchern und Hörspielern verfasste er kunsthistorische und philosophische Essays, veröffentlichte aber auch seine Korrespondenz mit Subcomandante Marcos.
Auf der Berlinale im vergangenen Jahr hatte »›The Seasons‹ in Quincy: Four Portraits of John Berger« Weltpremiere. Arte strahlte anlässlich seines 90. Geburtstags am 5. November ein Porträt aus, in dem Berger mit seiner Tochter Katya über Motorräder, Caravaggio und Rebellion spricht. »Die Toten sind für uns unentbehrlich«, sagt er in diesem Film, der noch bis Ende des Monats in der Arte-Mediathek abrufbar ist. Am Montag ist John Berger in Paris gestorben. (jW)
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