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Aus: Ausgabe vom 12.01.2017, Seite 11 / Feuilleton
Droste

Volksverräter? – Aber ja doch!

Von Wiglaf Droste

Die gleichermaßen unreflektierte wie notorisch reflexhafte Gewohnheit, zu Jahresbeginn retrospektiv das »Unwort des Jahres« zu küren, hat es in den Rang von Brauchtum und Folklore geschafft. Am 10. Januar 2017 war der Begriff »Volksverräter« an der Reihe, ein Wort, das keines Kommentars bedarf, weil es sich selbst ächtet. Spätestens seit Henrik Ibsens Drama »Ein Volksfeind« von 1882 und der Dreyfus-Affäre ein gutes Jahrzehnt später weiß jeder, der es wissen will, was von Leuten zu halten ist, die andere mit dem Anwurf angeblicher »Volksfeindschaft« und erfundenen »Volksverrats« verächtlich zu machen trachten: Es sind Denunzianten und Hetzer, denen keine Lüge, keine Intrige und keine Kampagne zu schäbig und zu schmutzig ist, wenn es um die Erringung oder Erhaltung ihrer Macht und um die Vertuschung ihrer eigenen Verbrechen geht. Ihre Mittel sind Verleumdung, Entzug der Bürgerrechte und der Menschenwürde bis hin zu Deportation und Mord.

Ein weiterer zum Volks-, Geheimnis- und Hochverräter gelogener, misshandelter und ermordeter Mann war Carl von Ossietzky, radikaldemokratischer Sozialist, großartiger Stilist und mutiger Herausgeber der Weltbühne. Wenn also rechten Fressluken der Mundgeruch vernichtungsbegieriger Vaterländerei entströmt, darf man die Bezichtigung »Volksverräter« als Auszeichnung annehmen. Was haben sie sich aufgemandelt im Namen eines »Deutschlands!«, seit 1989/90 überziehen die Fahnenschwenker, Parolenbrüller und Totschläger alle Restverständigen im Land mit erfundenen Begriffen wie »Nationalmasochist« oder »antideutscher Rassist«, obwohl die Deutschen nicht einmal eine »Rasse« von Schäferhunden sind.

Von denen ließ und lasse ich mich jederzeit »Volksverräter« nennen; und wenn die AfD in Gestalt von Frauke Petry »das Völkische« als »wertfreie« Kategorie re-etablieren will, bin ich mit allen Freuden der Vernunft und der Empathie gerne das, was als »Verräter« stigmatisiert wird.

Wer vor den primitiven Hass­predigern eines allmächtig niederträchtigen »Deutschland den Deutschen!«-Deutschlands auf die Knie fällt, sei es aus Angst vor Machtverlust, aus opportuner Bequemlichkeit, Herzensträgheit, simpler Feigheit oder um der Aussicht auf banale Vorteilsnahme willen, bleibt vom rechtsextremistischen Bedrohungs- und Einschüchterungsvokabeljau zumindest fürs erste verschont. Die treffende Bezeichnung für das, was ihn beim Blick in den Spiegel anglotzt, mag er sich liebend gern selbst ausdenken, sofern er dazu imstande ist. Bei Leuten, die ihre Plattitüden für Etüden halten, sind allerdings berechtigte Zweifel geboten.

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