Strich, Strich, Komma, Punkt
Von Wiglaf DrosteVon Wiglaf DrosteIn der kleinen Gruppe aus Dichtern, Musikern, Philosophen, Gesellschaftswissenschaftlern, Medizinern, Psychologen, Journalisten, Übersetzern und lebensneugierigen Menschen aus allen Berufsgruppen, die sich ein- bis zweimal im Monat zum Essen und Disputieren trifft, darf reihum jede und jeder ein Thema bestimmen und ist gehalten, es möglichst schon vorher bekanntzugeben, damit sich jeder Teilnehmer an der Runde adäquat persönlich vorbereiten kann; die Gesprächsleitung beziehungsweise Moderation oder Mediation obliegt jemand anderem, der ebenfalls reihum wechselnd rotiert.
Das jüngste Thema hatte ein junger Antiquitätenrestaurator gesetzt: Wie gehe ich mit nahen Blutsverwandten um, in deren Gegenwart ich mich unwohl und bedrückt fühle, die aber jedes Gespräch darüber verweigern, was wiederum mich dann schwermütig oder aggressiv macht? Ein harter Brocken, und die Gesprächsleiterin, eine Soziologin, der dieser Topos persönlich nicht unbekannt war, schwang sich, die Grenzen ihrer Rolle aufgrund ihrer eigenen Aufgewühltheit überschreitend, zu einem apodiktischen Satz auf: »Da zieht man einen Strich, da macht man einen Punkt, und dann ist das erledigt!«
Sie süffisant nach den Gründen für ihre Vehemenz zu befragen war verlockend, aber ein zu billiges Vergnügen, denn wir wollen ja nicht langweilig auftrumpfen oder öde recht haben, sondern die Abenteuer und Sensationen des Suchens auskosten, und so erklärte ein anwesender Historiker: »Schlussstricher sind Gestalten wie Martin Walser – sicherlich populär, aber ihrem Wesen nach und im Kern doch eher popolär.« Und reimte vergnügt: »Der Strich ist das, worauf du gehst, wenn du das Leben nicht verstehst.« Als die Soziologin ihn anfunkelte, ergänzte er gutgelaunt: »Glaub bitte nicht, dass jeder Vergleich hinkt. Der springende Punkt ist, dass der Punkt springt.«
Es wurde dann ein sehr intensiver, lustiger Abend, an dem die Punkte nicht standen, sondern herumsprangen wie die Eichhörnchen im Geäst.
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